Selbstabhängigkeit versus toxische Hilfe

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Das Gefühl etwas selbst geschafft zu haben, ist sehr wichtig für uns Menschen. Das betrifft besonders das Erwerbsleben, aber eigentlich auch alle anderen Bereiche. „Nein, selbst!“ ist ein Ausspruch den sicherlich jede Mutter von ihren kleinen Kindern kennt. Ob sie ihm nachgibt, ist oft eine Frage von Zeit, Geduld und Toleranz gegenüber Schaden an materiellem. Aber den Stolz des Kindes, das die selbstgewählte Herausforderung geschafft hat, der ist unbezahlbar.

„Der Stolz es selbst geschafft zu haben ist unbezahlbar“

Das betrifft auch die Geburt, sowohl der Mutter als auch dem Kind werden Endorphine und Erfolgserlebnis genommen, wenn Ärzte in den Geburtsprozess eingreifen. Wenn es um Leben und Tod der Beteiligten geht, sicherlich ein Preis den man zu zahlen bereit ist, aber auch sonst? Das Gegenteil der Erfahrung des selbst Geschafften, ist die erlernte Hilflosigkeit. Und dieses Phänomen erfährt in unserer Gesellschaft meines Erachtens leider eine große Zunahme. Als Hausärztin beobachte ich eine zunehmende Unsicherheit im Umgang mit dem eigenen Körper, mit Missempfindungen, der eigenen Gesundheit. Aber auch in der Versorgung der Kinder, wird von Eltern oft nach ärztlichem Beistand gerufen, weil das Vertrauen in die eigene Urteilsfähigkeit fehlt. Im Studium habe ich gelernt, dass die Mutter am besten wisse wie es ihrem Kind gehe, sie habe es schließlich ständig um sich und kenne es am besten.  In der Praxis kommt es mir manchmal vor, als glaube sie selbst nicht mehr daran. Ich möchte an dieser Stelle noch mal betonen, dass ich dafür niemanden ver- oder beurteilen möchte.

„Mangelnde Selbstwirksamkeitserfahrungen können zu Depressionen führen“

Erlernte Hilflosigkeit als das Ergebnis mangelnder Selbstwirksamkeitserfahrung kann zur psychischen Erkrankungen wie zum Beispiel Depressionen führen. In einer Psychotherapie ist das Erkennen und Wiedererlangen des eigenen Handlungsspielraums ein häufiges Ziel. Diesem Ziel steht oft ein Interesse von anderen gegenüber, welches sich unter einem altruistischen Deckmantel verbirgt und oft demjenigen Selbst nicht bewusst ist, welchen Schaden er damit anrichtet. Ich meine etwas, dass ich an dieser Stelle mal „toxische Hilfe“ nennen möchte. Übergriffe werden oft mit „ich möchte dir doch nur Helfen/dir etwas Gutes tun“, oder „ich möchte dich vor Enttäuschungen bewahren“ begründet. Weil Hilfsbereitschaft allgemein hin als Tugend gilt und Dankbarkeit erwartet wird, ist es besonders schwer sich gegen eben diese toxische Hilfe zu wehren. Warum ist sie denn toxisch? Weil sie eigene Erfahrungen verhindert, insbesondere Selbstwirksamkeitserfahrungen.  Weil sie dadurch Lernen verhindert. Und Selbständigkeit. Weil sie Abhängigkeit schürt, wo vielleicht gar keine sein müsste.

„Hilfe die Dankbarkeit einfordert, kann Gift für den sein, der sie bekommt“

Das Erlebnis, ohne Hilfe viel besser zurecht zu kommen. Die Erkenntnis, dass nett gemeint, oft tatsächlich das Gegenteil von gut ist. Auch das eigene Scheitern zu spüren und damit umzugehen. All das sind Dinge, die man braucht, um die Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen. Übernehmen zu können. Dass genau diese Verantwortung sehr wichtig ist für ein gelungenes Leben, begründet I. Yalom in „Existenzielle Psychotherapie“ auf vielen hundert Seiten schwer lesbarem Text. Jorge Bucay nimmt es in „Drei Fragen. Wer bin ich? Wohin gehe ich? Und mit wem?“ auf und kreiert dafür das Wort der Selbstabhängigkeit. Ich möchte mit meinem Begriff der toxischen Hilfe deutlich machen, dass es eben nicht nur den Abhängigen gibt, sondern auch den, der diese Abhängigkeit fördert und füttert. Natürlich ist, im Sinne der Verantwortung für sich selbst, jeder selbst gefragt, sich gegen Übergriffe aller Art zur Wehr zu setzten. Aber unsere gesellschaftliche Moral der erwarteten Dankbarkeit macht es zusätzlich schwer.

Mit Abhängigkeit meine ich nicht, die typischen Verläufe von Suchtmittelmissbrauch, sondern die ganze „normale“ Abhängigkeit die jeder Mensch kennt. Denn jeder musste sich mal mehr oder weniger mühevoll aus der Abhängigkeit von den Eltern oder Vergleichbarem befreien.

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