Wer will findet Wege – ein schrittweiser Paradigmenwechsel

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Die Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens in Deutschland könnte auf verschiedenen Wegen erfolgen, mit entsprechend unterschiedlichen Vor- und Nachteilen. Zunächst einmal kann man zwei grundsätzlich verschiedene Wege der Einführung unterscheiden, ganz unabhängig davon, welche Art oder Gestaltung von Grundeinkommen gewünscht wird.

Der eine Weg wäre die ad hoc-Einführung, dann gäbe es ein Grundeinkommen von einem bestimmten Stichtag an, also quasi als würde ein Schalter umgelegt. Dieses würde dann sofort für alle Mitglieder der Gesellschaft bedingungslos gezahlt werden, in existenz- und teilhabesichernder Höhe, mit einem individuellen Rechtsanspruch, ohne Bedürftigkeits- oder Vermögensprüfung und ohne die Forderung einer Gegenleistung.

Der andere Weg wäre eine schrittweise Einführung. Auch da könnte man unterschiedliche Herangehensweisen wählen. Zum einen könnte man es gruppenweise einzuführen, also zum Beispiel erst einmal die Kinder, dann die Rentner, dann die Erwerbslosen sowie geringfügig Beschäftigten und zuletzt alle. Oder zum anderen der Beginn mit einem partiellen, zunächst noch nicht existenzsichernden Grundeinkommen (z.B. 300 €) an alle, welches dann schrittweise gesteigert wird. Selbstverständlich sind auch Kombinationen und Zwischenformen dieser Herangehensweisen denkbar.

Bei einer ad hoc-Einführung wäre eine sehr genaue Vorbereitung erforderlich, welche die Grenzen der Vorhersagefähigkeit von Menschen und Wirtschaft mindestens extrem herausfordern würde. Es würde vermutlich mit hohen Umstellungskosten einhergehen. Aber vor allem, und das ist mein Hauptargument gegen eine plötzliche Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens, es würde uns menschlich überfordern. Die Welt verändert sich schnell, Bedürfnisse nach Erhalt des Bekannten und Stabilität werden durch die Globalisierung ohnehin schon schwer auf die Probe gestellt, wenn gleichzeitig Anerkennung und Wert der Erwerbsarbeit ihren Stellenwert verlieren, ist bei vielen eine sehr große Verunsicherung und Angst zu erwarten.

Eine schrittweise Umgestaltung hin zum BGE hingegen macht es leichter, die Veränderungen ins Leben zu integrieren, und ermöglicht auch, die Psyche mitzunehmen. Eine Umstellung zum BGE geht je nach konkretem Modell mit mehr oder weniger großen Veränderungen des Staatshaushalts und des Steuersystems einher und beinhaltet große Unsicherheiten. Und selbst das mit den besten Absichten ersonnene System könnte sich in der Praxis als fehlerhaft herausstellen. Je mehr Gestaltungsmöglichkeiten offen bleiben, desto besser kann man auch im weiteren Verlauf auf bis dahin unvorhergesehene Veränderungen reagieren. Gestaltungsmöglichkeiten sind dabei die vielen Stellschrauben, wie zum Beispiel die Höhe, die Bezugspersonen, der Umgang mit den Sozialversicherungen und auch die Finanzierung. Diese Stellschrauben können nach und nach angepasst werden, in Abhängigkeit von den bereits gemachten Erfahrungen, anstatt sich auf Vorab-Prognosen von Experten stützen zu müssen.

Sowohl beim Für als auch beim Wider des BGE spielt Angst eine große Rolle. Zunächst ist es die Existenzangst, welche durch das Grundeinkommen reduziert werden soll. Bei den Gegnern ist es oft die Angst vor Veränderungen. Entweder weil es einem aktuell gut geht und man nicht möchte, dass sich das ändert, und die Erfordernisse des Grundeinkommens erfolgreich ignoriert werden oder aus Angst, dass es sich im Vergleich zu heute noch weiter verschlechtern könnte. Bei den Befürwortern hingegen besteht Angst vor dem „falschen Grundeinkommen“. Manchmal wird es auch „das Grundeinkommen aus den falschen Gründen“ genannt. Denn die Modelle und Varianten des Grundeinkommens unterscheiden sich zum Teil erheblich ebenso wie die Beweggründe.

Es gibt viele Gründe für ein Grundeinkommen und viele verschiedene Wertegrundlagen, auf denen man es diskutieren kann. Die Angst vor dem falschen Grundeinkommen oder dem aus den falschen Gründen liegt deswegen wahrscheinlich darin, dass es Ausgestaltungen des BGEs oder auch der Zwischenschritte dorthin gibt, bei denen die jeweils eigenen Aspekte zu kurz kommen.

Es ist nicht einfach, den besten Weg für eine gute und langfristig tragfähige Lösung für die gesamte Gesellschaft zu finden. Ich gehe davon aus, dass die Einführung des Bedingungslosen Grundeinkommens insgesamt etwa eine Generation dauern wird. Für die Miete im nächsten Monat und die Schulden, die heute schon auf der Bank bestehen, wird es also eher nicht helfen. Was es aber bietet, ist eine nachhaltig bessere Perspektive für die Zukunft. Und das ist sehr viel.

Manche Befürworter überfordern das Konzept des BGE und überschätzen die Möglichkeit der Vorhersagen, wenn sie gleich die perfekte Lösung von Anfang an wollen. Die Gegner hingegen haben besonders viel Skepsis gegenüber einem Szenario, bei dem riesige Geldmengen umgeschichtet und Fakten geschaffen werden, die sich dann nach der Einführung nicht mehr ändern lassen. Dabei gibt es, wie oben schon genannt, viele Stellschrauben, an denen gedreht werden kann. Und das betrifft natürlich auch die Politik drumherum wie die Sozialversicherungen, die Gesundheitsversorgung, Bildungspolitik und vieles mehr.

Aktuell gibt es bereits ein bedingungsloses partielles Grundeinkommen für Kinder. Und auch in konservativen Kreisen gibt es wenig Anhänger von Kinderarmut, so dass es relativ leicht wäre, das Kindergeld auf die existenzsichernde Höhe anzuheben und statt des bisherigen Steuerfreibetrags komplett vorab auszuzahlen. Die Kosten würden kurzfristig etwas steigen. Langfristig verursacht Kinderarmut durch verringerte Chancen im Bildungssystem und im späteren Erwerbsleben sowie wegen oftmals schlechterer Gesundheitsversorgung aber staatliche Kosten, die jene eines Kindergrundeinkommens bei weitem übersteigen. Mal abgesehen davon, dass wir es uns als Gesellschaft gar nicht leisten können, auf das geistige und kreative Potential dieser Menschen zu verzichten.

Bei einer bedingungslosen Grundsicherung für Rentner wäre die Argumentation anders. Die Güte an einer Gesellschaft misst sich am Umgang mit den Alten und Schwachen. Die Würde im Alter ist durch unser Pflegesystem ohnehin schon stark in Mitleidenschaft gezogen. Darüber hinaus ist Altersarmut ein drängendes Thema. Die Demütigungen von Bedürftigkeitsprüfungen, die Einschränkungen der Freiheit für Empfänger von Grundsicherung im Alter und der Zwang zur vorherigen Vermögensabschmelzung des eigenen Ersparten führen zu einer steigenden „verdeckten“ Armut im Alter, welche durch flaschensammelnde Rentner aber gleichzeitig immer deutlicher sichtbar wird. Eine bedingungslose Grundrente ist darauf die richtige Antwort. Egal ob für Mütter, ehemalige DDR-Arbeiter, Zugewanderte, langjährig prekär Beschäftigte, zeitweise erwerbslos Gewesene, Selbstständige oder alle anderen, die Basis im Alter sollte nicht in Frage gestellt werden. Auch heute schon wird die Rentenversicherung durch Steuern aufgefüllt, die Kopplung an vorangegangene lebenslange sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ist nicht mehr zeitgemäß. Wer über das Renteneintrittsalter hinaus noch erwerbsfähig ist, sollte auch arbeiten dürfen und davon finanziell auch profitieren. Der Bestandsschutz für Renten über die Grundsicherung hinaus darf dabei genauso wenig eingeschränkt werden wie private Vorsorge. Das Erwerben neuer Rentenansprüche könnte aber sofort beendet werden, statt der verpflichtenden Rentenbeiträge könnte die Einkommensteuer entsprechend erhöht werden.

Die Gruppe dazwischen, die der mehr oder weniger Erwerbstätigen, ist schwieriger zu versorgen. Da hat die Stimmungsmache im Zusammenhang mit der Agenda 2010 und den Hartz-Gesetzen ganze Arbeit geleistet. Hier könnte man ein Grundeinkommen einführen, indem man bei den heutigen staatlichen Transferleistungen nach und nach die Bedingungen reduziert. Das würde viel Leid reduzieren, wie hier beschrieben. 

Aber das Bild des faulen Arbeitslosen hat zu einer erfolgreichen Stigmatisierung geführt. Das erschwert den Zusammenhalt und eine Abschaffung der Sanktionen würde einen gewissen Widerstand hervorrufen. Die Rechnung ist aufgegangen. Die Sanktionen haben zwar keine positive Wirkung auf die Erwerbsfähigkeit der Alg 2-Empfänger, aber in weiten Teilen der Erwerbsbevölkerung zu Angst vor der Bedürftigkeit von staatlichen Leistungen geführt. Diese Angst hat sie Arbeit annehmen lassen, die sie krank machen und viel tägliches Leid hervorruft. Ich erwarte nicht, dass diese Leute alle sofort ihren Job kündigen, wenn die Sanktionen fallen und die Bedürftigkeitsregeln freundlicher gestaltet werden. Eher vermute ich einen Ansturm der Entrüstung, wenn diejenigen die es nicht selbst geschafft haben, nun weniger gegängelt werden. Ronald Blaschke, ein Urgestein der Grundeinkommensszene und Mitarbeiter der Linken-Parteichefin Katja Kipping, hat neulich bei einer Veranstaltung gesagt: Aufgrund der öffentlichen Meinung wird man eher ein Grundeinkommen für alle einführen können, als die Regeln für H4 lockern. Vielleicht hat er damit recht.

Mal angenommen, das Kindergeld würde auf die Höhe des Freibetrags (jährlich 7.428 €, Stand 2018) angehoben und monatlich vorab ausgezahlt. Und weiterhin angenommen, es gäbe eine steuerfinanzierte Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung in Höhe des Steuerfreibetrags (jährlich 9.000 €, Stand 2018). Dann wäre es möglicherweise am realistischsten, für die Bevölkerung dazwischen zunächst ein partielles Grundeinkommen einzuführen, zum Beispiel 300 €, für jeden. Das wäre ein Betrag, den Transferleistungsbezieher bedingungslos bekämen, bei ansonsten unveränderten weiteren Sozialleistungen, den Geringverdiener zusätzlich hätten, ohne in die Maschen der Bedürftigkeitsprüfung zu geraten, und der bei höheren Einkommen mit dem Steuerfreibetrag verrechnet werden könnte ähnlich der heutigen Günstigerprüfung beim Kindergeld. Die Kosten wären überschaubarer als wenn es gleich um ein komplettes BGE für alle geht. Man könnte Erfahrungen sammeln und es bliebe Zeit, um Vertrauen aufzubauen. Im Weiteren könnten dann Umstellungen des Steuer- und Gesundheitssystems vorgenommen werden, die eine Erhöhung auf die tatsächliche Existenz- und Teilhabesicherung ermöglichen.

Denn obwohl das Grundeinkommen meines Erachtens selbst den Zweck hat, die Existenz-Angst zu reduzieren, löst die Diskussion darum auch eine Menge Ängste aus. Und auch die sollten beachtet werden.

 

3 Kommentare

  1. Das sogenannte „bedingungslose Grundeinkommen“, dient doch nicht wirklich den Bedürftigen, auch wenn es auf den ersten Blick den Eindruck erweckt. Vielmehr müsste doch das Schlagwort derer lau-ten, die das fordern: „Staatlich garantiertes Zusatzeinkommen für alle!“ Wer wollte neben seinem laufenden Einkommen ein „staatliches Zubrot“, noch dazu mühelos und ohne Verpflichtung, ableh-nen? – Den möchte ich wirklich mal sehen! Sollte es daher nicht genannt werden, wozu es dienen soll:
    z. B. bedingungsloses Grundeinkommen für die, deren Existenzsicherung trotz Vollzeitbeschäftigung nicht gewährleistet ist? Oder will man lediglich eine Aufstockung für Hartz-IV/SGB II-Empfänger sicherstellen, die zwar arbeitsfähig sind, aber keiner regelmäßigen Beschäftigung nachgehen wollen oder können. Denkt doch auch mal über die volkswirtschaftlichen Konsequenzen der Forderung „bedingungsloses Grundeinkommen“ nach, in welchem Umfang das eine Gesellschaft trifft, deren Arbeitnehmer ohne hin mit Mehrfachsteuern, Abgaben, Sozialversicherungsbeiträgen belastet sind, und dann auch noch für eine Zusatzeinkommen belastet werden sollen? Ich denke eher, dass den wirklichen Bedürftigen durch eine Senkung der Steuern und Einschränkung sozialer Leistungen mehr geholfen werden könnte, als es eine weitere Aufblähung des Sozialetats eines Staates verantworten könnte. Dass sich hier Abgründe für manche Klientel auftun, in die sie stürzen bzw. in denen sie sich ohnehin befinden, ist klar. Es gab aber auch einmal Zeiten in Deutschland und Europa, da mussten sich die Menschen auch ohne soziales Netz behelfen und haben es geschafft, wieder auf die Beine zu kommen. Eine größere Bereitschaft der Bevölkerung zum Teilen wäre zudem auch ein Weg, um soziale Härten abzumildern und um den sozialen Zusammenhalt zu stärken. Es gebricht in dieser Gesellschaft an Vielem, was sich aber durch Eigeninitiative und Selbstlosigkeit z. Teil auch ausgleichen ließe. Daher halte ich die Forderung, alleine vom Staat eine Leistung ohne Gegenleistung zu beanspruchen, etwas anmaßend, gerade wenn es an der nötigen praktisch gelebten Solidarität mangelt. Man möchte immer eine Lösung, möglichst rasch und wirkungsvoll und auch noch per Gesetz herbeiführen(aber von wem oder durch wen sollte umgesetzt und kontrolliert werden?) Und wer kann das leisten? Aber die Dinge, die uns wirklich weiterhelfen können, fordern von uns Aufrichtigkeit, Kraft, viel Geduld, Ausdauer und Mut, selbst sein Leben in die Hand zu nehmen, solange es uns selbst möglich ist. Das gültige Prinzip der Subsidiarät, Hilfe zur Selbsthilfe, muss man deswegen nicht aushebeln, dafür steht das in fast 70 Jahren geschaffene soziale Netz in Deutschland, das aber nicht Schritt halten muss mit unseren sozialen Ansprüchen. Die sollten im Zweifel eher beschnitten und zurückgefahren werden.

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