Radikal gerecht

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Am Dienstag war der Ökonom Prof. Thomas Straubhaar im Literaturhaus Hannover zu Gast. Für mich eine gute Gelegenheit zwei meiner Leidenschaften miteinander zu verbinden – Autorenlesung und Grundeinkommen. Wie es sich für einen guten Dozenten gehört, hat Herr Straubhaar nicht vorgelesen, sondern frei vorgetragen und auch nach aufmerksamer Lektüre seines Buches, gab es noch einige interessante weitere Informationen. Davon möchte ich hier berichten. 

Ganz kurz zur Person, Herr Straubhaar ist seit den 80ern Verfechter der sozialen Marktwirtschaft und er vertritt nach eigenen Worten das Grundeinkommen von der knallharten ökonomischen Seite.

Sein Modell ist angelehnt an die negative Einkommenssteuer von Milton Friedman und kommt aber im Normalfall (außer bei im Ausland erzielten Einkommen) ohne Einkommenssteuererklärung aus. Das Grundeinkommen wird individuell ausgezahlt, ohne Prüfung von Bedarf oder Vermögen und fordert keine Gegenleistung.  Bei der Höhe orientiert er sich am heutigen Sozialetat und kommt dabei auf eine Höhe oberhalb des von der Regierung festgelegten Existenzminimums, aktuell ca. 1000 €. Ob diese oder eine höhere Summe angemessen ist, möchte er selbst nicht beurteilen, das sei letztlich eine Frage der politischen Willensbildung. Zu beachten sei natürlich, dass bei einer höheren BGE-Summe und entsprechend höherer Steuer auch die Arbeitsmotivation sinke, aber in Skandinavien zum Beispiel sei das durchaus üblich und auch gesellschaftlicher Konsens.

Finanziert wird das Grundeinkommen in seinem Modell durch die Abschaffung der heutigen Sozialversicherungen kombiniert mit einer Quellensteuer von 50% pauschal auf alle Einkommensarten die an eine natürliche Person ausgezahlt werden. Dabei wird die Bezugsquelle insgesamt deutlich größer, weil auch alle Einkommensarten herangezogen werden, die heute nicht Bestandteil der Sozialversicherungen sind, sodass es dann an jeden ausgezahlt werden kann. Für bisher sozialversicherungspflichtige Beschäftigte hingegen verringert sich die Belastung in den meisten Fällen, da Steuern und die Beiträge der Sozialversicherungen von Arbeitnehmer und Arbeitgebern zusammen meistens über 50% liegen. Wer das beispielhaft oder für sich selbst mal nachrechen möchte, kann das hier tun. Außerdem entfällt viel Bürokratie, sowohl im Sektor der Sozialleistungen als auch im Finanzamt.

Der Wegfall des steuerfreien Existenzminimums wird über das Grundeinkommen kompensiert, aber  bei allen anderen steuerlichen Ausnahmeregelungen plädiert er für eine radikale Abschaffung. Er versuche nicht, aus uns allen bessere Menschen zu machen, möchte weder durch Sanktionen erziehen noch durch finanzielle Vorteile Einfluss nehmen auf das Verhalten der Bevölkerung. Das sei die liberale Grundidee seines Konzepts. Im anschließenden Gespräch räumt er ein, dass er für einzelne Personengruppen wahrscheinlich nicht ausreicht, auf die Eigenverantwortung zu verweisen. Aber seine Argumentation ein Gesellschaftsmodell zu vertreten, dass sich an den „Vielen die wollen“ orientiert und nicht an den „wenigen die selbst nicht können“, ist in sich schlüssig. Für Menschen mit Behinderungen oder Krankheiten die die Verantwortung für das eigene Selbst erschweren, braucht es dann eben eine zusätzliche und ggf. individuelle Lösung, das sei ja nun auch schon so.

Bei der Zuwanderung schlägt er zwei mögliche Varianten vor. Entweder eine, an die Regelung in den USA angelehnte, Greencard, bei der ein persönlicher Bürge für die erste Jahre die Existenz absichert. Oder eine Staffelung des Grundeinkommens an die Aufenthaltsdauer, zum Beispiel 10% pro Jahr, dann erhält derjenige erst nach 10 Jahren das volle Grundeinkommen. Ich persönlich würde für eine andere Variante plädieren, aber auch das ist letztendlich eine Frage der politischen Willensbildung.

Ein weiteres spannendes Feld ist das der Krankversicherung, auch dort vertritt er die Position der maximalen Eigenverantwortung in Kombination mit einer Grundversorgung im Gesundheitswesen. Diese müsste entweder über Steuern direkt vom Staat oder durch eine staatlich festgelegte Mindestversicherung mit definiertem Preis und Leistungen und ohne Ablehnungsmöglichkeit durch den Versicherer gewährleistet werden. Darüber hinausgehende private Zusatzversicherungen stehen selbstverständlich jeden frei. Ob das Grundeinkommen um diesen Betrag reduziert ausgezahlt würde und die Leistungen staatliche organisiert wären oder ob jeder sich die Versicherung selbst aussuchen dürfte, wäre dann eine politische Entscheidung, mit seinem Modell ginge beides.

Die heutige Rentenversicherung möchte Herr Straubhaar komplett durch das Grundeinkommen ersetzen. Er verweist dabei darauf, dass auch im jetzigen System die mittlere Rente schon etwa 1000 € beträgt, das erscheint wenig, zugegeben, wäre aber bei Beibehalten des heutigen Systems wahrscheinlich in Zukunft noch viel weniger. Im Buch hatte er nur darauf hingewiesen, dass der Übergang schwierig wäre, im Vortrag wird er dann etwas konkreter. Die Bestandsrechte der bestehenden Rente können nicht beschnitten werden, eine Übergangsphase würde also zusätzliche Kosten verursachen. Zumindest bei seinem  Vorschlag, dass sich Rentner zwischen ihrer Rente oder dem Grundeinkommen frei entscheiden dürften.

Insgesamt macht der Autor einen sehr aufgeräumten Eindruck mit einer realistischen Einschätzung der Situation. Für das Grundeinkommen wird man von allen Seiten bekämpft und erhält ebenso aus vielen Richtungen Zuspruch. Natürlich kann man unter dem Begriff Verschiedenes verstehen, so macht er keinen Hehl daraus, dass seine Idee mit der von beispielsweise Katja Kipping nicht so viel  gemeinsam hat. Und auch von der Konsumsteueridee von Götz Werner grenzt er sich ab, weil das eine regressive Steuer sei und er möchte, dass die, die mehr Einkommen haben, auch mehr Steuern zahlen. Seine  vorgeschlagenen Flat Tax von 50% wird durch das steuerfreie Grundeinkommen progressiv. Und auch das Lieblingsargument der Konsumsteuerbefürworter, dass ja alle Steuern und Sozialabgaben in den Preisen auch heute schon enthalten seien, fegt er mit dem Verweis darauf, dass Preise das Ergebnis von Angebot und Nachfragen sind (oder seien sollten) vom Tisch.

Die drei Argumentationslinien des Buches RADIKAL GERECHT für das Bedingungslose Grundeinkommen sind gut nachvollziehbar dargestellt und überzeugen auch bisherige Skeptiker, wie den anwesenden Wirtschaftsredakteur der HAZ. Straubhaar nennt die Demographische Entwicklung und das damit einhergehende Scheitern des aktuellen Rentenversicherungssystems. Das macht, um zukunftsfähig zu sein, eine altersunabhängige Anpassung erforderlich. Als zweites folgt die Individualisierung der Gesellschaft. Die Normalfamilie ist zur Ausnahme geworden, dadurch sind Alleinerziehende und Frauen im Alter von Armut bedroht, mit zusätzlichen schwerwiegenden Nebenwirkungen für die Kinder. Eine Absicherung, auch für atypische Lebensläufe und vielschichtige Erwerbsbiographien, sei einer sozialen Gesellschaft würdig. Und nicht zuletzt macht die Digitalisierung rasante Vorschritte, eine ängstliche Abwehr der selbigen oder eine künstliche Schaffung von eigentlich unnötigen Arbeitsplätzen hält er für nicht zielführend. Mit einem Grundeinkommen hingegen könnte man sich dann sinnvollen Tätigkeiten widmen und die stupiden und harten Aufgaben getrost den Maschinen überlassen.

Dieses BGE-Modell befreit von Bevormundung durch den Staat und Ausnutzung durch Arbeitgeber, es holt uns nicht Heim an Muttis Herd oder ins soziale Schlaraffenland, sondern entlässt einen jeden in Freiheit und Selbstverantwortung. Dadurch wirkt es bestechend auf die liberalen Kräfte in Politik und Wirtschaft und gleichzeitig bedrohlich auf jeden mit großen Versorgungswünschen oder alle die gerne über andere bestimmen möchten (und sei es auch aus einer fürsorglichen Motivation heraus).

Immer wieder höre ich, ein Grundeinkommen sei entweder eine soziale Katastrophe oder unbezahlbar. Vielleicht sollten wir, wie meistens im Leben, vom Schwarz-Weiß-Denken Abstand nehmen und in den Bunt und Grau Bereich dazwischen schauen. Wo dann zwischen dem radikalen liberalen und dem utopischen linken die reale Machbarkeit liegt, ist letztendlich eine politische Entscheidung. Dafür wäre es natürlich hilfreich, wenn alle großen Parteien die zu ihnen passende Art Grundeinkommen ins Programm aufnehmen würden.

3 Kommentare

  1. Die Konsumsteuer soll nach Götz W. Werner gestaffelt eingeführt werden. Dies hat es heute schon in Finnland und Dänemark mit einer 100% Luxusautos. Die klappt da seit Jahrzehnten und wer sein Auto im Ausland erwirbt, zahlt die Steuer bei Anmeldung im Land einfach nach. Wenn man nach gesund/schädlich staffelt und gesundes, wie es beispielsweise Malaysia bei Obst macht, ganz von der Steuer ausnimmt, entspricht diese einer Luxussteuer.
    Genau diese war 1951 geplant, hier die Tabelle http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-29194002.html
    Statt sich für Verschuldung zu entscheiden, hätte man einfach die „Starken Schultern“ zur Kasse gebeten.

  2. Eine Staffelung der Mehrwertsteuer ist heute schon ziemlich umstritten, das wäre bei einer dann Konsumsteuer genanntem Umsatzsteuer auch nicht anders. Eine massive Bevormundung des Staats der dann entscheidet was sich die Leute kaufen können. Dann macht der Staat die Preise.
    Mal abgesehen davon, dass es bei dem Götz Werner Vorschlag noch ganz andere gravierende Probleme auftauchen würden. https://www.grundeinkommen.de/08/07/2011/der-konsumsteuer-vorschlag-ein-hindernis-auf-dem-weg-zum-bedingungslosen-grundeinkommen.html

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