Es ist eine hohe Kunst, seinen Platz im Leben zu finden. Und es ist oft ebenso schwer an seinem Platz zu bleiben. Ich möchte dabei zwei Dinge voneinander unterscheiden. Das Eine ist die zeitliche Dimension. Ich bin sicher kein Verfechter der „Schuster, bleib bei deinen Leisten“- Redewendung. Wenn man es auf das ganze Leben gesehen betrachtet, halte ich es für sinnvoll, ja für notwendig, dass man auch Ziele hat, die außerhalb des schon bekannten Radius liegen. Aber wenn man die Sache für den Moment betrachtet, dann ist es ein hohes Gut, seinen eigenen Platz zu kennen. Damit meine ich auf der einen Seite die eigenen Möglichkeiten und Handlungsspielräume, auch zB die Verantwortung für das eigene Wohlergehen zu übernehmen. Und zum anderen auch die Grenzen zu erkennen. Die Grenzen der eigenen Kompetenz und auch die der Rolle, der sozialen Position, in der man sich befindet. Diese Grenzen können in beide Richtungen verschoben sein, manchmal auch zugleich.
„Es ist eine hohe Kunst, seinen Platz im Leben zu finden.“
Zum Beispiel kann eine Mutter den Handlungsspielraum, sich um das eigene Wohlergehen zu kümmern, unterschätzen und gleichzeitig ihre Möglichkeiten, einen pubertierenden Jugendlichen noch zu beeinflussen, überschätzen. Und andersrum. Auch im beruflichen Kontext gibt es viele Fälle von „nicht am eigenen Platz sein“, gerade in weicheren Hierarchien. Da hat der Mitarbeiter vielleicht eine gute Idee im Sinne der Firma und beachtet bei seinem Vortrag der Selbigen nicht, dass er nicht derjenige ist, der das zu entscheiden hat. Oder aber, er wird seiner Funktion nicht gerecht, weil er die Entscheidungen nicht fällt, die seiner Position entsprechen. Die junge Ärztin, die die Klinik umstrukturieren möchte, ist genauso wenig an ihrem Platz, wie der Oberarzt, der keine Entscheidung fällt, oder die Krankenschwester die eigenmächtig die Therapie ändert.
Dabei geht es nicht darum, dass die Mutter natürlich wirklich mehr Lebenserfahrung hat als ihr Kind, die Ideen der jungen Mitarbeiter vielleicht unübertroffen gut sind, oder, oder, oder. Es geht darum, wie derjenige sich zum dem Zeitpunkt in seiner aktuellen Position selbst wahrnimmt und dann einbringt, oder eben auch nicht. Es geht darum, dass >Handeln ohne Auftrag< meistens nicht mit Dankbarkeit vergütet wird. Ein Ratschlag an der falschen Stelle ist eben auch ein Schlag. Ein Vorschlag übrigens auch. Das traurige an meiner Beobachtung ist jedoch, dass gerade diejenigen, die sich unbeauftragt in die Belange anderer einmischen, sich bei den eigenen Aufgaben dann stattdessen oft schwer tun.
Dieser Artikel wurde im April 2016 erstmalig veröffentlicht.