Die SPD und ihr Hartz-IV Dilemma

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Nach dem Vorstoß des Grünenchefs Robert Habeck am Mittwoch hat nun die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles ihre Position zur Antwort auf Hartz IV in einem Gastartikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung geschrieben.

Die Vorschläge von Habeck stellen den aktuellen Kompromiss seiner Partei dar, zwischen Grundsicherung und Grundeinkommen. Die SPD hatte sich bislang immer klar gegen ein Grundeinkommen positioniert und bis vor kurzem an Hartz IV festhalten wollen.

Stattdessen gab es verschiedenen Etikettenschwindel: Das Solidarische „Grundeinkommen“ vom regierenden Berliner Bürgermeister Michael Müller, welches eigentlich eine Neuauflage der früheren ABM ist und das „Grundeinkommensjahr“ des Generalsekretärs Lars Klingbeil, das einem Sabbatjahr entspricht. Auch das Chancenkonto, welches Schulz im Wahlkampf zur BTW 2017 eingebracht hatte, und auf das Nahles bislang gerne verwiesen hat, kann man zu diesen Vorschlägen dazu zählen. Sie sind alle mehr oder weniger sinnvoll, aber alle weder ein Grundeinkommen, das diesen Namen verdient, noch eine echte Abkehr von der Agendapolitik.

Auf dem Debattencamp der SPD am letzten Wochenende zeigte sich die Führungsriege zwar grundsätzlich Erneuerungsbereit, aber einem Bedingungslosen Grundeinkommen gegenüber immer noch deutlich abgeneigt. Nicht so die Basis, die sich in ihren Zuschauerbeiträgen zum Thema mit großer Mehrheit für ein Grundeinkommen ausspricht und dabei auch eine beeindruckende Palette an Argumenten aufführt. Insbesondere der Satz von Lars Klingbeil „Die Frage des Grundeinkommens gehört ganz zentral in die SPD“ und die Aufforderung, in den Ortsverbänden und auf den regionalen Debattencamps im nächsten Jahr darüber zu diskutieren, ließ vorsichtige Hoffnung aufkommen.

In ihrem aktuellen Beitrag „Abstieg verhindern, Aufstieg ermöglichen“ beschreibt Andrea Nahles die Situation des deutsches Sozialsystems schon recht treffend und fordert folgerichtig eine Reform aus der Perspektive derer, die den Sozialstaat brauchen, und nicht aus der Perspektive derer, die ihn missbrauchen. Anders als bei einem Grundeinkommen, das jeder bekommt, möchte sie allerdings, dass möglichst wenig Menschen auf die Grundsicherung angewiesen sind. Den Lohnabstand von Geringverdienern möchte sie durch eine Erhöhung des Mindestlohns, Zuschüsse zu den Sozialversicherungen und Steuergutschriften wieder herstellen. Außerdem solle es ein besseres Wohngeld geben und eine eigenständige Kindergrundsicherung. Das Recht auf Weiterbildung solle durch ein Arbeitslosengeld Q verwirklicht werden.

Ein Grundeinkommen für alle wird von Nahles als ungerecht und lückenhaft abgewertet. Sie benennt zwar die Stigmatisierung und Entwürdigung, die durch Strukturumbrüche, Bedürftigkeit und Arbeitslosigkeit hervorgerufen werden, bleibt aber an der ideologischen Verhaftung der Erwerbsarbeit hängen. Mit noch mehr Fördern (und Fordern?) soll statt dessen jeder Arbeit finden, ohne Rücksicht darauf, ob diese sinnvoll ist oder zum Selbstzweck verkommt. Ralf Stegner hat mit seinem Tweet „Jeder der arbeiten kann, soll auch arbeiten“ zurecht eine Menge Kritik geerntet. Man könnte fast glauben, er habe noch nie etwas von Bullshit-Jobs gehört.

Bei der Frage nach Ersparnissen bleibt Nahles an dieser Stelle im vagen, in früheren Berichten stand eine Erhöhung des Schonvermögens auf 300 Euro pro Lebensjahr im Raum. Das wären für eine 60jährige gerade mal 18.000 Euro. Eine Zahl, die fast niedlich klingt gegenüber den von Robert Habeck vorgeschlagenen 100.000 Euro.

Statt einer Erhöhung der Hartz IV Sätze, möchte Nahles die bedarfsgeprüften Einmalzahlungen für Waschmaschine oder Winterjacke wieder einführen und bezeichnet das dann auch noch als „Mentalitätswechsel“. Ohne erkennbare Ironie möchte sie zwar eine Abkehr vom Misstrauen, aber trotzdem bei Mitwirkungspflichten und Sanktionen „als letztes Mittel“ bleiben.

Dass „das Existenzminimum eines Menschen niemals in Frage gestellt werden“ dürfe, klingt danach wie blanker Hohn. Das Ganze dann Bürgergeld zu nennen, macht es nicht besser. Wir brauchen nicht einen neuen Namen für die gleiche menschenverachtende Sozialpolitik, sondern einen echten Paradigmenwechsel, der den Mensch wieder vertrauensvoll in den Mittelpunkt stellt. Mit dieser SPD scheint das aber nicht zu machen zu sein. Wäre Nahles eine Patientin von mir, müsste ich ihren Therapiewunsch wegen mangelnder Veränderungsbereitschaft ablehnen.

tl,dr:

Nahles möchte H4 in Bürgergeld umbenennen, Sanktionen und Bedarfsprüfungen beibehalten, die Regelsätze unverändert lassen, die Schonvermögen allenfalls minimal anheben, weiterhin jeden in Arbeit bringen, koste es was es wolle und dabei verzweifelt den Lohnabstand wieder herstellen. Dieser Vorschlag ist unkonkret, aber besser wird es wahrscheinlich auch nicht, wenn es mit Zahlen hinterlegt würde.