Diskussionsbeitrag – kritische Überlegungen zum BGE

Veröffentlicht von

(ein Gastartikel von Raphael Bolius)

Ich möchte in diesem Artikel einige Argumente ansprechen, die ich als
wichtig empfinde, wenn über das Bedingungslose Grundeinkommen gesprochen wird. Da der Artikel gegenüber dem BGE eher kritisch ist, möchte ich vorauschicken, dass mir die sozialen Problem unserer Gesellschaft sehr wohl sehr bewusst sind. Trotzdem (oder gerade deswegen) glaube ich nicht, dass man diese Probleme mit einem von oben verordneten Geldsegen lösen kann. Aber langsam. Am besten ich erkläre alles der Reihe nach.

Begonnen hat die Diskussion damit, dass ich auf meinem Blog einen Artikel über das BGE veröffentlicht habe. Ich bin zwar Webdesigner,
aber ich arbeite sehr viel mit sozialen Initiativen, Organisationen, die
sich für Ökologie engagieren, Künstlern etc. In meinem Freundeskreis
sind sicherlich 90% der Menschen für das BGE. Ich kann das trotzdem
nicht nachvollziehen. Ich habe daher in dem Artikel das Argument
vorgebracht, dass das BGE in meinen Augen eher zu einer Umverteilung von
unten nach oben führen würde. Mein Hauptargument dafür war, dass – wenn auf der untersten finanziellen Stufe jeder gleich viel hat – der Preis
für lebensnotwendige Güter wie Wohnungen sich an dieses Niveau anpassen wird und dass durch das BGE eher die Mieten steigen werden als dass Menschen ein selbstbestimmtes Leben führen können.

Aus diesem Gedanken hat sich dann eine Diskussion über das BGE
entwickelt, zu der ich diesen Artikel mit weiteren Argumenten beisteuere.

1) Es gibt immer „Solche und Solche“. Ich meine mit
dieser Verkürzung, dass es sicherlich viele tolle Menschen gibt, die
wenig Geld haben. Menschen, die Kunstwerke schaffen, Menschen, die
unbezahlt in karitativen Einrichtungen arbeiten etc. etc. Diesen
Menschen würde das BGE zweifellos sehr helfen. Arbeit ist ja nicht immer
mit Erwerbsarbeit gleichzusetzen. ABER: So wie es viele, sehr
engagierte Menschen gibt, die tolle Dinge tun, gibt es auch Alkis,
Fernsehsüchtige und Internetabhängige. Für diese Menschen wäre das BGE
keine Hilfe, sondern nur ein Argument mehr, damit sie sich in ihrer
selbstgeschaffenen Komfortzone einnisten. Gerade in Großstädten und bei
so genannten „bildungsfernen Schichten“ sehe ich da schon immense
Probleme mit dem Grundeinkommen.

Woher dieser Gedanke kommt, dass der Mensch „eigentlich“ unglaublich
toll, kreativ und engagiert wäre und das BGE all diese „unglaublichen“
Eigenschaften entfesseln würde, verstehe ich einfach nicht. Ganz im
Gegenteil. Ich halte es für eine gefährliche Illusion. Manche würde das
Bedingungslose Grundeinkommen beflügeln, andere eher fesseln. Hier sehe
ich die Argumentation der BGE-Befürworter tendenziell blind auf einem Auge.

2) Wieso – verdammt noch mal – gibt es eine Reihe von
Konzernchefs, die sich für das BGE aussprechen?
Ich kriege da
immer ein ganz seltsames Gefühl, wenn sich Wirtschaftstreibende aus der
kapitalistischen Hardcorefraktion für soziale Ideen einsetzen.
Erfahrungsgemäß tendiert die Wirtschaft dazu, Gewinne selbst zu
kassieren, Steuern zu vermeiden und Verluste zu sozialisieren. Das ist
beim Umweltschutz so und das war bei der Wirtschaftskrise 2008 so. Die
Banken und die Wirtschaft haben vor 2008 an den Krediten verdient, als
das Konstrukt in der Krise zusammenbrach, hat der Steuerzahler die
Rechnung beglichen. Punkt.

In Portugal brannten 2017 die „Wälder“. So war es in den deutschen
Medien zu lesen. Die „Wälder“ sind nur leider Eukalyptusplantagen für
die Papierindustrie und Eukalyptus ist nun mal leicht brennbar. Das
Löschen der Feuer wurde zwar vom Staat bezahlt, die Gewinne der Plantagen gingen aber an die Besitzer. Noch ein Beispiel für die Sozialisierung von Verlusten.

Aber im Grunde ist die Liste endlos. Alles was Gewinne potentiell schmälert, kommt weg, wenn Risiken entstehen, trägt sie die öffentliche Hand. Ein einfaches Konzept.

Warum ist also Elon Musk (Tesla) für das BGE???? Oder Joe Kaeser
von Siemens??? Da schrillen alle Alarmglocken bei mir. Elon Musk baut
Elektroautos, also ökologisch eher fragwürdige Produkte. (Elektroautos
verschieben das Emissionsproblem eher, als dass sie es lösen. Mehr Öffis
wäre wohl die bessere Antwort.) Er ist eine der treibenden Kräfte bei
der Entwicklung selbstfahrender Autos, ist also für zukünftige
Arbeitslose im Transportwesen direkt verantwortlich. Als sozial
engagiert ist er mir bis jetzt nicht aufgefallen, er scheint eher der
Typ „klassischer Kapitalist“ zu sein. Ich werde den Verdacht nicht los,
dass Konzernchefs, die sich für das BGE einsetzen, eher neue Käufer für
ihre Produkte staatlich subventionieren lassen wollen. Ein Schuft, wer
Böses dabei denkt?

3) Warum soll überhaupt irgendwas besser werden mit dem BGE?
Ja, wieso eigentlich? Unser größtes Problem ist in meinen Augen
nämlich nicht das Geld und dessen Verteilung. Dies ist erst die
Auswirkung, aber noch nicht die Ursache. Die permanente Ungerechtigkeit,
die es natürlich gibt und die wir nicht wegdiskutieren können, ist in
meinen Augen eher die Folge eines Systems, das aus dem Ruder läuft. Wenn
also dieses System aber versucht, soziale Probleme, die es zu einem
guten Teil selbst verursacht, mit Geld zu entschärfen, dann bin ich mir
nicht sicher, ob das Sinn macht.

Wenn wir ein anderes Wirtschaftssystem hätten, in dem tatsächlich
sinnvolle Dinge für Menschen produziert werden, die sich überlegen, was
sie sich mit ihrem Geld kaufen und wozu sie diese Käufe benötigen, dann
könnte man eventuell über das BGE reden. So wie unsere Wirtschaft funktioniert, stehen wir doch alle unter Drogen (Dauerberieselung mit Werbung), werden den lieben, langen Tag mit sinnfreien Informationen aus diversen Medien versorgt, haben haufenweise „Freunde“ in den sozialen“ Medien und leben zunehmend in einer Art imaginärer Parallelwelt. Wer – verflucht noch mal – benötigt ein neues iPhone WIRKLICH und wozu? Wenn ich auf die einschlägigen Webseiten der Techindustrie gehe und mir die ganzen sinnlosen Gadgets ansehe, die die neuen Geräte so mit sich bringen, wird mir übel. Der Großteil unseres Konsums ist künstlich indiziert und sinnlos. Und in diesem System von durchgeknallten Pseudoaktivitäten soll jetzt plötzlich alles besser werden, wenn es das BGE gibt? Ich würde sagen, es geht genau umgekehrt: Wer wirklich etwas ändern möchte, sollte das System ändern und nicht die Symptome kurieren.

4) Und zu guter Letzt: Pua, verdammt noch mal. Es gibt in der Psychologie das Wort „Leidensdruck“. Leidensdruck, das ist, wenn es einem ganz schlecht geht und man daher etwas an seinem Leben radikal ändern möchte. Wenn es also jemandem „schlecht geht“, muss das daher nicht immer schlecht sein, sondern kann auch der Grund für einen Neustart
sein. Wozu sollte man aber neu starten, wenn es einem ohnehin nicht
wirklich schlecht gehen kann, weil es ohnehin das BGE gibt? Krisen –
sorry, das hören viele nicht gerne – haben einen Sinn. Krisen
mobilisieren. Krisen aktivieren Menschen auch zum Handeln.

OK, soweit also ein paar Ideen, die aus meiner Perspektive gegen das BGE
sprechen. Natürlich habe ich nicht die Weisheit per se gepachtet und
lasse mich gerne überzeugen, dass ich nicht recht habe. Ich freue mich
daher auf eine interessante Diskussion.

Raphael Bolius ist Webdesigner, der nicht nur Webseiten entwirft,
sondern auch gerne über Politik diskutiert. In seiner Arbeit hat er
einen starken Fokus auf Projekte in den Bereichen „Soziales – Kultur –
Ökologie“. In seinem Webdesignblog schreibt er über seine Arbeit, Politik und Kultur

7 Kommentare

  1. Ja, ich finde diese Gedanken bedenkens- und diskussionswürdig – danke für diesen Beitrag. Mich hat auch – obwohl ich bisher für das BGE war – das Ebook von Karl Stickler nachdenklich gemacht, in dem er die Frage stellt, was aus den Begriffen gesellschaftliche Solidarität, Integration, Inklusion wird, wenn das BGE eingeführt würde.

    Aber: gibt es nicht schon eine – eher pessimistische – seriöse Studie der OECD zum BGE?

    LG Arabella

  2. Der „Leidensdruck“ in der Gesellschaft ist allgegenwertig, trotzdem haben sich elementare Dinge bis heute nicht geändert. Das BGE (weltweit) einzuführen hieße doch, dass wir endlich einmal anfangen aus den wiederkehrenden Fehlern zu lernen und es als Chance zu sehen, die Ressourcengewinne gleichmäßiger auf alle Erdenbürger zu verteilen und alle bisherigen Bemühungen (z.B. FairTrade, „Think global, act local“) noch weiter zu fördern – (Vielleicht erachten uns dann auch die ausserirdischen Nachbarn für würdig auf einen Besuch vorbeizuschauen).
    Die Welt wird auch mit einem BGE nicht perfekt sein – Menschen machen immer Fehler – die Roboter bringen insofern die überfällige Humanisierung der Arbeit. Leid und Schmerz wird es auch weiterhin geben, aber doch nur in den wirklich relevanten unausweichlichen Bereichen, wo sie sich vielleicht dann durch den Wegfall sekundärer Leidensarten auch weiter intensivieren, wir also auch wieder mehr Mitleid füreinander durch wachsende Empathiefähigkeit entwickeln – also eine sinnvolle Leidensverlagerung stattfindet. Und zur Not kann man sich auch immernoch selbst kasteien, z.B. durch Verzicht: Fastenzeiten, Schweigeseminare, etc. Und genau das ermöglicht uns auch ein BGE, indem es die Menschwerdung und damit auch die menschliche Evolution via Entschleunigung fördert. Man muss sich aber schonmal die Mühe machen, es perspektivisch visionär zu betrachten und nicht allein die jetzige Realität als Auswirkung unserer kollektiven Handlungen aus der Vergangenheit mit einer möglichen neuen BGE-Gesellschaftsrealität in Zukunft gleichzusetzen und dann zu sagen alles bleibt (mit einem wirtschaftlich-sozio-kulturellen Grundfreiheitsbetrag) beim Alten oder wird sogar noch schlimmer. Wir müssen ja erstmal unsere erworbenen gesellschafts-historischen Wunden zu Ende lecken, damit sie endlich anfangen können zu heilen. Und wir uns zu einer höheren Evolutionsstufe aufschwingen. All das bisherige kollektive historische Leid der Welt sollte also nicht umsonst gewesen sein, wenn wir die Chancen jetzt nutzen, welche sich uns nun eröffnen, um eine bessere Welt zu schaffen…mit weniger „Leidensdruck“ durch die Reduktion menschenunwürdiger Lebens-/Leidensbereiche, um Menschenrechte sowie Tierrechte, Umweltschutz global zu stärken, raus aus der Abwärtsspirale, rein in eine Aufwärtspirale, welche alle trägt und niemand mehr dem Leid der absoluten Armut ausgesetzt sein muss, weil dieses Thema als Lernaufgabe längst durch ist…nun müssen wir nur endlich mal konsequent erkenntnsorientiert, also nach bestem Wissen und Gewissen, handeln, denn erst Wissen schafft Verständnis, Aufklärung gibt Orientierung und aus Erfahrung wird man klug (Bsp: Prof. Liebermann öffnet Studenten die Augen (Campus Mainz, Nov. 2017): https://youtu.be/HcekSMoPsiw?t=1h26m44s).

    Und bislang noch:
    „Aus Furcht, in der Freiheit verloren zu gehen, halten sich viele am Leiden fest.“
    Quelle: http://www.seele-und-gesundheit.de/exis/leid.html

    Freiheitskompetenz in Verbindung mit einer „Inkompetenzkompensationskompetenz“ zu erlangen wird also die eigentliche Herausforderung des 21sten Jahrunderts werden, der wir uns langsam stellen müssen, anstatt sie zu ignorieren, so wie es sich in der Mainstream-Politik derzeit noch widerspiegelt: „Der Staat ist ein Volk, das sich selbst beherrscht.“.

    1. Also dass das BGE weltweit eingeführt wird, halte ich schon für eine sehr unwahrscheinliche Sache. Abgesehen davon, dass wirklich nur extrem wenige Dinge weltweit funktionieren, glaube ich, dass – wenn es ein BGE gäbe – das eher etwas wäre, was reiche Staaten einführen würden. Aber lassen wir mal Staaten wie Moçambique oder Bangladesh weg. In den USA, die ja wohl wirklich nicht arm sind, hat Obama mit Müh und Not eine Krankenversicherung zustandegebracht, von der niemand weiss, wie lange sie halten wird. Europa ist – was die Sozialgesetze betrifft – weltweit ziemlich einzigartig.

      Aber wenn wir schon bei anderen Staaten sind: Es gab ja – vor gar nicht all zu langer Zeit – der real existierenden Sozialismus, es gab Jugoslawien, es gibt immer noch Kuba. Alles Systeme in denen der Fokus nicht so sehr auf der individuellen Erwerbsarbeit liegt/lag wie bei uns. Hilft uns ein Blick auf Kuba bezüglich BGE? Was passiert in Kuba mit jemandem, der nicht im „klassischen Sinne“ arbeiten will? Das würde mich jetzt interessieren. 😉

  3. Verstehe ich nicht. Einerseits erwartet der Autor, dass eigentlich nichts besser wird, aber andererseits meint er, dass in der BGE-Welt kein Leidensdruck mehr da ist und es allen zu gut geht, um noch persönliche Krisen zu erleben.
    Joe Kaeser ist nicht fürs BGE.

    1. Der Autor kennt Joe Kaeser nicht persönlich, dass muss er schon mal festhalten. 😉 Mein Wissen über ihn besiert auf Recherchen im Net und da ist es natürlich möglich, dass sich Fehlinformationen einschleichen. Aber ob es jetzt Joe Kaeser oder wer anderer ist, das ist ja egal. Was ich sagen wollte, das ist, dass das BGE auch von Wirtschaftstheoretikern rund um Hajek begrüßt wird. Und mit deren neoliberalen Gedankengut hab ich schlicht und einfach wenig am Hut.

      1. Joe Kaeser hat das Wort Grundeinkommen in den Mund genommen, seit dem wird ihm vielfältig unterstellt pro BGE zu sein. Tatsächlich hat er aber wenige Tage nach der Ursprünglichen Aussage per Twitter geklärt, dass es ihm nicht um ein Bedingungsloses Gundeinkommen ging.

  4. Ein Kurzkommentar von Patrik Spurzem

    Entweder wir richten ein BGE ein und partizipieren am Innovationsstand inkl. künstlicher Intelligenz oder China kauft innerhalb der nä. 20 Jahre alles auf, was wir heute noch als Eigentum oder Besitz definieren.

    Gruß
    Patrik

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