Grundeinkommen und Menschenwürde

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Brüne Schloen entwickelt in seinem Buch „Grundeinkommen und Menschenwürde“ ein Modell zur Finanzierung eines Bedingungslosen (oder wie es hier genannt wird “substanziellen”) Grundeinkommens. Dafür braucht der promovierte Politikwissenschaftler und langjährige Wirtschaftsprüfer nur 82 Seiten.

Der Argumentation nach versucht Schloen ein Grundeinkommens-Modell zu entwickeln, das die SPD retten soll. Er zeigt eingangs das Auseinanderdriften von Einkommen und Vermögen und die Probleme im aktuellen Sozialsystem. Daraus folgert er die Schwäche der SPD. Deren dogmatisches Festhalten am “Fördern und Fordern” ist in Schloens Augen ein “sozialkatholischer Tunnelblick”, der  nicht mehr zukunftstauglich sei.

Im Hauptteil seines Buches beschäftigt er sich mit einem konkreten Modell, dessen Finanzierung sowie optionalen Ergänzungen. Für Schloen ist sein Grundeinkommensansatz zugleich Türöffner für weiterreichende gesellschaftliche Veränderungen wie z. B. ein neuer Gesellschaftsvertrag für Freiheit, Gleichheit und Solidarität und emanzipierte Arbeitsverhältnisse. Die Eckdaten seines Vorschlags sind wie folgt:

Definition

Als Grundeinkommen bezeichnet er pauschalierte, staatliche Zuwendungen, die jede(r)  Berechtigte ohne jedwede Bedürftigkeitsprüfung, also bedingungslos, erhält. Die Summe soll „substanziell“ sein. Konkret fordert Schloen  mit 1500 Euro – einen Betrag, der deutlich über den bisherigen Hartz-IV-Höchstwerten liegt und so eine Abschaffung dieses Systems ermögliche. 

Empfänger

Berechtigte Empfänger sind deutsche Staatsbürger mit Wohnsitz in Deutschland. Diese werden noch in so genannte Vollberechtigte (14- 68 jährige), Rentenaufstocker und Kinder unterschieden. 

Vollberechtigte, das sind deutsche Staatsbürger, die über 14 Jahre und jünger als 68 Jahre sind. Diese erhalten 1500 Euro pro Monat, unabhängig von sonstigen Einkommen. Rentenaufstocker bekommen 1000 Euro zusätzlich, ebenfalls ohne ihre Bedürftigkeit nachweisen zu müssen. Bei einer Rente von weniger als 500 Euro, können sie, sofern sie den Nachweis für diese geringe Rente erbringen, auch bis zu 1500 Euro beziehen. Kinder (bis zum 14. Lebensjahr) erhalten nur durchschnittlich 300 Euro – bzw., je nach Alter sogar nur 200 bis 400 Euro. 

Daraus ergäbe sich ein Gesamtbedarf von 1050 Milliarden Euro pro Jahr. 

Sozialversicherungen

Das bestehende Krankenkassensystem möchte der Autor, trotz aller berechtigter Kritik daran, zunächst aus Gründen der Vereinfachung beibehalten.

In der Rentenversicherung plädiert Schloen für eine komplette Neuberechnung, nur noch auf Basis der Arbeitnehmerbeiträge. Arbeitgeberbeiträge und Zuwendungen des Bundes sollen entfallen bzw. werden in eine Grundsicherungsabgabe umgewandelt, die in die Finanzierung des Grundeinkommens mit einfließt. 

Finanzierung

Der Autor versucht zunächst, die mit der Finanzierung einhergehenden Veränderungen überschaubar zu halten und so viel wie möglich des Bestehenden fortzuschreiben. Die Hauptquellen für die Finanzierung des Grundeinkommens sind Änderungen

– des Erbschaftssteuerregimes,

– Einkommenssteuersystems und 

– im geringen Maße der Umsatzsteuer durch Wegfall von Vergünstigungen. 

Sozialleistungen der Hartz-IV-Gesetze entfielen ersatzlos. Weiterzuentwickeln, als Teil der staatlichen Fürsorge, seien Behindertenunterstützungen, vormundschaftliche Betreuungsregelungen und ähnliches. Dies soll angeblich jährlich 393 Milliarden Euro einsparen. 

Änderungen der Einkommenssteuer:

Der Grundfreibetrag entfällt/ Splittingverfahren wird aufgehoben. Danach gibt es vier Phasen – 30% bis 12.000 Euro – bis zu 50% bis 50.000 Euro und ab 100.000 Euro Einkommen dann einheitlich 54% Steuer. Die Kapitalertragsteuer wird auf 45% erhöht, von bisher 25%.

Brüne Schloen geht von insgesamt 500 Milliarden Euro Mehreinnahmen aus, die so erzielt werden können. Im Gegensatz zu einer Finanzierung über Verbrauchssteuern, wird diese Summe nach Einkommen differenziert erhoben.

Unterm Strich (mit gleichzeitiger Betrachtung der Grundeinkommenszahlung) zahlen mit dieser Steuer nur rund 6 Mio. Spitzenverdiener mehr als heute.

Reform der Erbschaftsteuer:

Schloen weist darauf hin, dass 10% der Bevölkerung rund 60% des gesamten Vermögens gehören. Von den rund 400 Mrd. Euro an jährlichen Vererbungen nimmt der Staat nur 6,1 Mrd. Euro Erbschaftsteuer ein,  was einem Anteil von  1,5% entspricht. 

Unabhängig vom Verwandtschaftsgrad will Schloen die Steuersätze bis zu einem Erbe von 1 Mio. Euro auf 30%, bis zu einem von 5 Mio. auf 40% und bei einem darüber hinausgehenden Erbe auf 50% anheben. Die Freibeträge bleiben davon unberührt.

Allen Erbschaften über 100.000 Euro wird eine Stundung über 20 Jahre der Steuer ermöglicht, mit einem festen Zinssatz von 2% p.a. und einer Annuität von 3% pro Jahr. Somit soll es auch für Unternehmensnachfolger möglich sein, die Steuer zu bezahlen, ohne das Unternehmen zu gefährden. 

Des Weiteren sollen Ausnahmen und Privilegien abgeschafft werden, die Steuerbehörden gestärkt und die Erbschaften nach ihrem tatsächlichen Wert veranlagt werden. 

Schloen verspricht sich hiervon 85 Mrd. Euro Mehreinnahmen pro Jahr. 

Durch die höheren Einkommensteuern für Spitzenverdiener und höheren Erbschaftssteuern für Vermögende soll es zu einer Umverteilung von insgesamt rund 176 Mrd. Euro kommen. 

Umsatzsteuern: 

Der Autor rechnet mit  Umsatzsteuermehreinnahmen von 24 Mrd. Euro, die sich durch die Konsumwirkung des Grundeinkommens ergeben. Außerdem schlägt er, ökologisch motiviert, eine Abschaffung des verminderten Mehrwertsteuersatzes z.B. auf Fleischprodukte vor. Insgesamt verspricht er sich davon 64 Milliarden Euro Mehreinnahmen. 

Weitere mögliche Veränderungen:

Unter den Erweiterungsoptionen werden assoziative Arbeitsverhältnisse beschrieben, bei denen beide Seiten zumindest juristisch auf Augenhöhe sind und nicht mehr im Dienst-Dienstherr-Verhältnis zueinander stehen.

Fazit:

Das Buch ist insgesamt in einer sehr fachlichen Sprache verfasst und damit für Laien wenig attraktiv. Verlag und Aufmachung wecken einen seriösen und wissenschaftlichen Eindruck, der Autor hat sich eine Menge nachvollziehbarer Gedanken zur Finanzierung eines Grundeinkommens gemacht. 

Ich teile seine Argumentation für eine höhere Erbschaftssteuer und würde diese ebenfalls so gestalten, dass eine Zahlung über viele Jahre möglich ist. Im Detail folge ich den Ausführungen des Autors bei der Gestaltung der Stundung allerdings nicht, insbesondere hat er die Gefahr einer Verschiebung von Erbschaften hin zu Stiftungen nicht weiter beachtet. 

Die vorgestellten Änderungen der Einkommensteuer bleiben für michwenig nachvollziehbar. Warum Schloen es nicht einfach dabei belässt den Grundfreibetrag (und damit auch das Splittingverfahren) und einige Abschreibungsmöglichkeiten zu streichen und den Spitzensteuersatz auf 54% zu erhöhen, erschließen sich mir ebenso wenig, wie sein Vorschlag, Kapitalerträge immer noch geringer zu besteuern als Arbeitseinkommen. 

Bezüglich der Mehrwertsteuer halte ich es für zielführender, den verminderten Steuersatz von 7% und die damit verbundene Bürokratie gleich ganz abzuschaffen. Die steigenden Kosten für Lebensmittel etc. könnten von einem Grundeinkommen von 1500 Euro problemlos getragen werden. Ökologische Lenkungswirkungen, insbesondere in der Landwirtschaft, wären leichter durch eine Änderung der staatlichen Subventionen zu erreichen. 

Bezüglich der Gesamtfinanzierung sind insbesondere die veranschlagten Einsparungen bei den Sozialleistungen und den dortigen Personalkosten vermutlich zu hoch gegriffen. Aber das grundsätzliche Prinzip wird deutlich, insbesondere die dahinterstehenden Werte.  

Obwohl der Autor zu Beginn des Buches die Digitalisierung als Begründung anführt, lässt er die Entkopplung von Löhnen und Gewinnen in den Unternehmen außer Acht. Bei steigender Automatisierung werden Gewinne immer weniger abhängig von menschlicher Arbeitskraft generiert. Deswegen halte ich eine konsequentere  und höhere Unternehmensbesteuerung zur Finanzierung eines Bedingungslosen Grundeinkommens für unausweichlich. Die kommt in diesem Buch aber leider nicht vor. Auch die beschriebenen assoziativen Arbeitsverhältnisse reichen dafür nicht aus.

Meine zwei Hauptkritikpunkte sind allerdings ganz andere. Zum einen grenzt Schloen  ausländische Staatsbürger und Staatenlose vom Bezug des Grundeinkommens aus und sagt auch nicht wovon sie leben sollen. Wenn das Grundeinkommen das Grundrecht auf menschenwürdiges Existenzminimum erfüllen soll, müsste es für alle Menschen die hier leben gelten, um mit dem Grundgesetz vereinbar zu sein.

Zum anderen bemisst er die Höhe des Grundeinkommens für Kinder deutlich unter dem heutigen Existenzminimum. Wenn Kinder nur durchschnittlich 300 Euro Grundeinkommen erhalten, ist damit ihr Unterhalt für Existenz, Bildung und Teilhabe nicht gedeckt. Entsprechende Behörden müssten weiter bestehen, inclusive stigmatisierender Anträge. Und auch die Problematik des Unterhalts von getrennt lebenden Eltern und Unterhaltsvorschuss durch die Jugendämter bliebe bestehen, inklusive der damit verbunden Kosten in den Ämtern und Behörden. Die Solidarisierung mit Alleinerziehenden zu Beginn des Buches wird an dieser Stelle nur als Heuchelei empfunden. 

Wer sich für Modelle und Finanzierungen eines Bedingungslosen Grundeinkommens interessiert, der wird mit diesem Buch eine weitere Perspektive geboten. Preislich liegt das vorliegende Werk vom Springerverlag mit 35 Euro im Bereich von Fachbüchern.

6 Kommentare

  1. Liebe Baukje,
    wenn ich Deine Interpretation/Extraktion aus dem vorgestellten Buch lese und richtig einschätze, gehe ich mit deinen Wertungen in großen Teilen einher.
    Was hier aus meiner Sicht, zusätzlich zu Deinen Anmerkungen, fehlt, ist:
    1. eine realistische Einschätzung des Benötigten
    2. eine realistische Finanzierung
    3. eine Beachtung dessen, was emotional überhaupt möglich ist in unserem Staat

    zu 1. In einem ersten Schritt müssen diejenigen mit einem monatlichen Einkommen von unter 1000,-€ erst einmal ohne Ansehen der Person auf dieses Niveau gehoben werden. Das Ganze natürlich unter absolutem Weglassen jedweder Bedürftigkeitsprüfung.
    zu 2. Die in Punkt 1 erforderlichen Finanzmittel sind im großen Ganzen vorhanden, da über die Sozialgesetze jeder Staatsbürger bei Berechnung von Hartz 4 (incl. Miete,..), Aufstockung und Sozialgeld zur Rente auf einen solchen Betrag Anspruch hat. Gut für den Staat ist zZt. nur, dass viele Menschen aus Sozialscham ihre Ansprüche nicht geltend machen. Einsparungen oder Erhöhung des Arbeitswilligkeit auf Basis des Drucks von Hartz 4 zeigen kaum Wirkung
    zu 3. Um 1+2 umsetzen zu können, braucht man nur den Punkt einer relativen Kostenneutralität und die Wirkungslosigkeit des Zwanges aus Hartz 4 darzustellen
    Weiterhin entfallen Kosten und Verwaltungsintensive Dinge wie zB. die Heil’sche „Gnadenrente“ die mehr Beschränkungen aufweist als ein Visum für Nordkorea

    Zusätzlich gewinnt man noch 6-7 Mrd. € durch den Wegfall des größten Teils der Sozialbehörden über eine Abwicklung über „negative Einkommenssteuer.

    Gruß

    Thomas

  2. Lieber Thomas,

    Wenn man die Bedürftigkeitsprüfung komplett weglässt – wie bei einem Grundeinkommen – dann erhält automatisch jeder die Summe, von dir mit 1000Euro veranschlagt. Oder meinst du, dass es trotzdem noch beantragt werden müsste? Selbst dann könnte im Prinzip jeder den Antrag stellen, weil die Bedürftigkeit ja nicht geprüft wird.

    Das wäre ein guter Schritt, führt aber direkt zur Frage der Finanzierung. Denn die müsste ja direkt die 1000 Euro für jeden Gegenfinanzieren. Möglich wäre das, allerdings kann es psychologisch sinnvoller sein Schrittweise vorzugehen. Wie hier beschrieben: https://blog.baukje.de/sukzessive-approximation-oder-revolution/

    Zur grundsätzlichen Finazierbarkeit kann ich das Webinar von Clemens Rostock empfehlen.
    https://gruenes-grundeinkommen.de/2020-07-24-clemens-rostock-steuersystem/

    Viele Grüße
    Baukje

  3. Liebe Baukje,

    Danke für deine Antwort.

    Es wird keine Beantragung mehr geben. Das Einzige ist, dass jeder seinen Verdienst;
    z.B. Rentnerin 400€ im Monat bei der Steuererklärung oder durch Direktübermittlung durch die Rentenversicherung beim Finanzamt angibt, Das Finanzamt macht daraus eine Auszahlung an die Rentnerin von 600 € (1000€ – 400€).

    Das ist negative Einkommenssteuer.

    Ich habe dazu eine Präsentation im PDF Format zur besseren Erklärung.
    Ich würde diese gerne teilen. Hab aber keine Ahnung wie ich es hier hochladen kann!
    Hilfe!!!

    Thomas

  4. Als „Aufstocker-Modell“ würde ich die negative Einkommenssteuer ablehnen. Sie liesse sich aber auch problemlos so gestalten, dass Zuverdienst sich immer lohnt. Vor allem bei geringen Einkommen finde ich das wichtig.
    Bei substitutive Aufstocker-Modellen so wie du es beschreibst hätte ich nicht nur Zweifel an der Motivation zur Erwerbstätigkeit, sondern würde auch eine Spaltung der Gesellschaft in die „nur mit BGE“ und diejenigen die es schaffen darüber hinaus zu kommen befürchten. Letztere hätten es schwerer, je höher das BGE ist, denn bis zu dessen Höhe, wäre jedes Einkommen quasi direkt wieder weg.

  5. Liebe Baukje,
    Selbstverständlich verstehe ich den Wunsch das BGE als zusätzliches Geld für alle Menschen in diesem Lande einzuführen. Ob dies für die Gesellschaft zuträglich ist, ist für mich noch nicht klar.
    Mir selbst geht es darum auf dem Weg dahin zum einen die Bewusstseinsveränderung vom Gnadendienst hin zu einer selbstverständlichen Grundsicherung für alle Betroffenen zu entwickeln.
    Zum Andereren die Art und Weise Menschen in eine Beschäftigung zu bringen; weg vom Zwang hin zu einer Förderung schon von klein auf.
    Verbunden mit einem zu erwartenden Absinken der zur Verfügung stehenden Arbeitsmöglichkeiten führt die Systemveränderung automatisch in die Richtung des grundsätzlichen BGE

  6. Das ist ein wesentlicher Punkt: Du möchtest eine Grundsicherung für Betroffene – ich ein Grundeinkommen für alle. Ein sehr großer Unterschied.
    Vor allem für Erwerbstätige. Selbst wenn es – nach Steuern und Abgaben am Ende nicht mehr Geld auf dem Konto ist, macht es einen großen Unterschied, bezüglich Sicherheit oder Existenzangst, einen Grundeinkommen auf jeden Fall zu bekommen. Und mehr als heute müsste es vor allem im unteren Einkommensbereich sein, denn da bestehen die größten Ungerechtigkeiten, insbesondere bei den Aufstockern. Das möchte ich auf keinen Fall durch ein substitutives Grundeinkommen oder eine Grundsicherung bei der Zuverdienst weiterhin abgezogen wird fortsetzen. Erwerbstätigkeit muss sich lohnen – für alle und nicht erst oberhalb des Existenzminimums.

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