Meine Perspektive auf das Grundeinkommen

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Ich möchte Euch an dieser Stelle einen kleinen Einblick geben, was mich zum Grundeinkommen führt. Dafür möchte ich mit ein paar Beispielen aus meiner täglichen Praxis anfangen:

Ein 35-jähriger Mann, Waschmaschinenmonteur, hat kaputte Knie, eigentlich müsste er eine Umschulung machen und den Beruf wechseln. Aber er hat eine Familie und die könnte er dann nicht mehr ernähren. Also macht er weiter, bis die Knie ganz kaputt sind, landet früher oder später im Krankengeld, nimmt Schmerzmittel und kann seinen Freizeitbeschäftigungen nicht mehr nachgehen. Mit Grundeinkommen wäre das nicht passiert. 

Eine alleinerziehende Mutter mit schwerer Depression muss dringend in die Klinik. Aber sie verweigert die Behandlung, weil sie vom Krankengeld die Miete nicht bezahlen kann, obwohl sie schon in einer Sozialwohnung lebt. Nun steht eine Entscheidung zwischen Suizidgefahr oder Obdachlosigkeit mit Kleinkind im Raum. Mit Grundeinkommen wäre das nicht der Fall.

Ein junger Mann kommt mit Panikattacken in die Sprechstunden, die ungeplante Schwangerschaft seiner Freundin hat ihn mit seiner Arbeitslosigkeit konfrontiert. Er möchte sich über Abtreibung informieren, trotz Kinderwunsch und funktionierender Beziehung. Mit Grundeinkommen wäre das nicht so.

Eine 55-jährige Polin berichtet von der zunehmenden Demenz ihrer Mutter. Sie möchte die Pflege gerne selbst übernehmen. Aber wovon soll sie dann leben?

Ein Tiermedizinstudent stellt fest, dass er sich in der Berufswahl geirrt hat. Wenn er das Studium abbricht, muss er das Bafög zurückzahlen, Geld für eine andere Ausbildung gibt’s dann nicht. Also macht er weiter und seine chronisch entzündliche Darmerkrankung wird immer schlechter.

So viele Menschen bräuchten gar nicht zum Arzt zu gehen, wenn wir ein Grundeinkommen hätten. Und vielen weiteren könnte man viel besser helfen.

Ich stelle mir immer wieder die Frage, worein ich meine Lebenszeit investiere. Ob ich als Psychotherapeutin mehr Depressionen heilen könnte, als ich mit Grundeinkommen verhindern kann? Im Moment habe ich meine Weiterbildung für das Grundeinkommen ziemlich hintenan gestellt.

Man kann das Grundeinkommen aus sehr vielen Richtungen betrachten, mein Zugang beginnt mit Erich Fromm:

>Der Unterschied zwischen Sein und Haben entspricht dem Unterschied zwischen dem Geist einer Gesellschaft, die zum Mittelpunkt Personen hat, und dem Geist einer Gesellschaft, die sich um Dinge dreht.<

Für mich geht es um die Menschen und nicht um die Dinge, um jeden einzelnen und um alle zusammen, um die Freiheit, Selbstbestimmung und das Miteinander.

In der Kunst des Liebens unterscheidet Fromm zwischen der mütterlichen und der väterlichen Liebe. Das muss man nicht ganz so wörtlich nehmen, aber es geht um einen wichtigen Unterschied. Die mütterliche Liebe ist die bedingungslose Liebe und die väterliche die leistungsbezogene Liebe. Wir brauchen beides. Wir brauchen eine bedingungslose Anerkennung unserer Würde, unseres Mensch-Seins und unserer Existenz. Und wir brauchen auch eine Wertschätzung der Leistungen, die wir erbringen, welcher Art auch immer die sind.

Im Moment ist das Pendel ganz auf der einen Seite, bei der Leistung. Überall geht es darum, etwas zu leisten. Das fängt schon im Kindergartenalter an und hört eigentlich nie wieder auf. Das ist auch okay. Es sollte nur nicht alleine stehen bleiben. Kaum etwas bekommt man „einfach so“. Ein bedingungsloses Grundeinkommen wäre so etwas. „Einfach so“, nur weil du ein Mensch bist. Auf einmal bist du gut, so wie du bist. Und nicht nur, wenn du vorher eine Bedingung erfüllt hast.

Manche Kritiker des Grundeinkommens prangern das an, weil sie um die Anerkennung der Leistungen fürchten. Es geht aber gar nicht darum, dass es keine Wertschätzung von Leistung mehr geben soll, sondern nur darum, eine andere Mischung zu finden zwischen bedingter und bedingungsloser Zuwendung.

Ein Bedingungsloses Grundeinkommen könnte also die institutionalisierte mütterliche Liebe sein. Die, die nicht fragt, ob du gut genug bist. Sondern die, die dir deine Existenz sichert, bedingungslos. Diese Sicherheit der Existenz ermöglicht eigentlich erst die Leistung. Zumindest eine, die aus uns selbst heraus kommt, intrinsisch motiviert und nicht nur von außen erzwungene. Das mit dem Zwang funktioniert ohnehin nicht besonders gut. Zuletzt habe ich von 80% innerer Kündigung bei Angestelltenverhältnisse gehört. Der wirtschaftliche Schaden geht ins unermessliche, aber noch schlimmer ist der menschliche.

Wir leben in einer Welt voller Misstrauen. Überall herrschen Regeln, Kontrolle und der Verdacht, dass der andere einem etwas Schlechtes wollen könnte. Das mündet dann in einem Menschenbild, in dem man seinem Nachbarn die Butter auf dem Brot nicht mehr gönnt und ein großer Teil der Lebenszeit darauf verwendet wird, zu gucken, ob man auch nicht ungerecht behandelt wird. Dabei könnte es doch eigentlich auch anders sein. Warum haben wir nur so viel Angst davor, ausgenutzt zu werden? Weil wir in einer Gesellschaft leben, in der Konkurrenz und Wettstreit zur Normalität geworden sind. Die Leistungsgesellschaft. Das klingt irgendwie ganz erfolgreich und vielleicht ist es das auch. Aber ist es auch menschlich?

Wenn wir das tun, was wir tun müssen, statt das, was wir tun wollen, dann gehen uns Kreativität und Innovation verloren. Allein deswegen bräuchten wir schon ein BGE.

Aber auch unsere Gesundheit leidet unter dem Zwang zur Arbeit und den Existenzängsten. Existenzängste spielen nicht nur bei den sogenannten prekär Beschäftigten eine Rolle, obwohl das ja schon sehr viele sind, sondern indirekt zum Beispiel auch bei deren Familien. Ein großer Teil der Bevölkerung lebt von sogenannten Transfereinkommen. Ein Teil davon sind staatliche Transferleistungen, die meisten innerhalb der Familie. Aber das heißt, wenn ein Erwerbsarbeitsplatz gestrichen oder in Leiharbeit umgewandelt wird, dann hat das Folgen für deutlich mehr Menschen. Vielleicht z.B. für die Frau, die nun in der Job-und-Kinder-Falle steckt, für die Kinder, die mehr Fremdbetreuung brauchen, oder für die Alten, die im Heim landen. Und obwohl Frau Nahles und Herr Heil dank frisierter Arbeitslosenzahlen noch von „nahezu Vollbeschäftigung“ träumen, gehen uns in Wirklichkeit die Normalarbeitsverhältnisse aus. Und das wird durch die Digitalisierung noch vollkommen ungeahnte Ausmaße annehmen.

Das bedingungslose Grundeinkommen ist also nicht nur ein Wunsch, sondern eine realpolitische Notwendigkeit geworden.

Der kulturelle Impuls der Bürgerbewegung fürs Grundeinkommen hat dieses zwar bekannter gemacht, eingeführt wurde es allerdings noch nicht. In Deutschland gibt es keine bundesweiten Volksentscheide, deswegen hat sich 2016 eine Partei gegründet, das Bündnis Grundeinkommen, mit dem Ziel, das Thema BGE auf den Wahlzettel und in den Bundestag zu bringen. Ein ziemlich ambitioniertes Unterfangen, in 365 Tagen von der Gründung bis zur Bundestagswahl zu kommen. Aber die ganze BGE-Szene hat darauf mit einer ungeahnten Aktivierung reagiert und monatelang steckten sehr viele Menschen sehr viel Zeit, Energie und Herzblut in dieses Projekt. Mit „in den Bundestag“ war nicht unbedingt gemeint, dass das Bündnis Grundeinkommen irgendwann selbst in den Bundestag gewählt werden wird, auch wenn das natürlich toll wäre. Sondern auch indirekt, über die Währung Wählerstimmen, kann das Thema BGE durch die dort vertretenen Parteien in den Bundestag gebracht werden. Und nebenbei können vielleicht noch ein paar bisherige Nichtwähler motiviert werden, zur Wahl zu gehen, oder Protestwähler, ihr Kreuz nicht bei der AfD zu machen, und somit gewinnt die Demokratie auch noch etwas.

Und trotzdem bleibt es ein Paradox. Für mich schafft das Bedingungslose Grundeinkommen die Rahmenbedingungen zur Selbstbestimmung und Freiheit. Und das passt nicht gut zu den Machtmechanismen des politischen Betriebs. Trotz allem bin ich davon überzeugt, dass diese Ein-Themen-Partei ein sehr guter Weg ist, um das Grundeinkommen in die Politik zu bringen. Und zwar nicht irgendein Grundeinkommen, sondern eines, das den vier internationalen Kriterien des BGE entspricht:

– Existenz- und Teilhabesichernd

– individueller Rechtsanspruch

– ohne Bedürftigkeits- oder Vermögensprüfung

– kein Zwang zur Arbeit oder sonstiger Gegenleistung

Diesen Text habe ich im März 2017 auch als Vortrag gehalten: http://wp.me/p8B7Z7-3n

4 Kommentare

  1. Grundsätzlich kann ich die beschriebene Perspektive verstehen. Aus rein menschlicher Überlegung würde ich sie auch teilen. Leider befürchte ich hier ein praktisches Problem. Innerhalb der Bundesrepublik Deutschland werden Waren und Dienstleistungen erbracht, die unseren Lebensstandard ermöglichen. Diesen Lebensstandard haben wir, weil wir einen Aussenhandelsüberschuss erwirtschaften. Ohne einen „Gewinn“ im weltweiten Handel, würden wir, in einem Land ohne Bodenschätze, sehr schnell einen sinkenden Lebenssatandard verrzeichnen. Ohne diese Arbeitsleistung hätten wir also weder die notwendigen Möglichkeiten uns zu ernähren, noch unsere Wohnungen ausreichend zu heizen, ganz zu schweigen von einer Gesundheitsversorgung. Irgendjemand muss dies mit seiner Arbeitsleistung erwirtschaften. Es ist inzwischen möglicherweise gesamtgesellschaftlich anerkannt, dass die erwirtschafteten Ressourcen ungleich verteilt sind. Für ein BGE müssten also 1. die Ressourcen anders verteilt werden und 2. diese aber trotzdem durch Arbeitsleistung erwirtschaftet werden. Während die Verteilung ja möglicherweise noch geregelt werden könnte, erscheint mir der Anreiz schwierig zu werden. Mir ist schon bewusst, dass viele Menschen aus innerem Antrieb heraus viele produktive und sinnvolle Dinge tun würden aber reicht das aus um unsere Waren und Dienstleistungen auf dem Weltmarkt weiterhin mit Gewinn anbringen zu können. Wenn dies nicht gelingt, wird der Lebensstandard in einem Land, dass praktisch über keine wichtigen Ressourcen verfügt, innerhalb sehr überschaubarer Zeiträume drastisch abnehmen. Können und wollen wir so ein Experiment mit einem solchen Ausmass riskieren.

  2. Das ist ein sehr interessanter Aspekt, der allerdings meinethalben nicht unbedingt etwas mit dem BGE zu tun hat.

    Wir leben in einer Externalisierungsgesellschaft wie Stefan Lessenich vollkommen zurecht schreibt. Unser Wohlstand wird überwiegend nicht von uns selbst erwirtschaftet, unser Abfall überwiegend nicht selbst entsorgt und auch das menschliche und gesundheitliche Risiko wird zum Großteil von anderen getragen. Ob wir uns das moralisch weiterhin leisten wollen und ob wir uns dann machtstrategisch und geopolitisch überhaupt weiter leisten können ist eine ganz wesentliche Frage für die Zukunft unseres Landes. Und dabei kommt auch die Migration als wichtiger Faktor mit ins Spiel.

    Ich sehe dabei das Bedingungslose Grundeinkommen allerdings nicht als Ursache, sondern im Gegenteil als Teil einer Lösung, um damit umzugehen. Insbesondere wenn ein Rückgang des Wohlstands in der Breite der Bevölkerung droht, und das ist jetzt schon der Fall, siehe aktuellen Armutsbericht, ist eine Umverteilung und ein Mindestmaß (BGE) als Existenzsicherung erforderlich. Vielleicht haben wir in Deutschland wenig Boden-Ressourcen, ob das auch mit Klimawandel so bleibt, mal dahingestellt, aber was wir haben ist, trotz allem, einen hohen Bildungsstandard und hohe Innovationskraft. Oder besser gesagt, wir könnten es haben, wenn wir unser eigenes Potential gut ausschöpfen. Dafür würde ein BGE gute Vorraussetzungen schaffen.

    Kurzum, für mich ist das BGE eine Möglichkeit auf die Probleme der Zukunft zu antworten. Ein Vergleich mit einem Wohlfahrtsstart der 70er erscheint mit sinnlos. Für die Zukunft stellt sich eher die Frage nach Alternativen, und da sehe ich ohne BGE schwarz.

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