Sukzessive Approximation*, also die schrittweise Annäherung, oder Revolution, hier gemeint als abrupter Systemwechsel, diese Frage stellt sich immer wieder in der Politik, nicht nur im Bezug auf das Bedingungslose Grundeinkommen.
Die Puristen der Idee des Grundeinkommens nehmen in der Diskussion gerne eine „ganz oder gar nicht“-Position ein. Jeder Vorschlag wird an ihrer Idealversion eines Grundeinkommens gemessen, nicht am aktuellen Ist-Zustand. Um die Idee einer idealen Umsetzung des Grundeinkommens zu erreichen, werden auch bestehende Missstände akzeptiert, teilweise sogar als notwendig erachtet, um die Energie zur „Revolution“ aufzubringen und eine kritische Masse dafür zu mobilisieren. Oft wird eine „Big Bang“-Einführung des Grundeinkommens propagiert, Vorschläge zu einer schrittweisen Einführung werden entweder abgelehnt oder zumindest nicht selbst erarbeitet.
Die Realisten hingegen argumentieren mal mehr und mal weniger in realpolitischen Schritten. Sie sind für eine, wie auch immer geartete, schrittweise Einführung eines Grundeinkommens und stellen Vorschläge in Bezug zum Ist-Zustand, freilich ohne dabei das Ziel eines vollständigen Bedingungslosen Grundeinkommens aus den Augen zu verlieren. Schritte können dabei gruppenbezogen sein wie ein Kindergrundeinkommen oder eine bedingungslose Grundsicherung im Alter. Es kann sich aber auch um partielle Grundeinkommen, wie es in Alaska bereits besteht oder als Euro-Dividende gefordert wird, handeln. Und selbstverständlich gehören da auch Schritte wie die Sanktionsfreiheit von bestehenden Transferleistungen, die Erleichterung von Bedürftigkeitsprüfungen oder bessere Zuverdienstmöglichkeiten dazu. Auch Pilotprojekte, die ja naturgemäß immer nur Teilaspekte eines Grundeinkommens untersuchen können, konkretisieren die Diskussion ums BGE und können somit als Schritte zu dessen Einführung betrachtet werden.
Meine Position für eine schrittweise Einführung ist dabei ziemlich eindeutig und wird durch viele Gespräche auch immer wieder bestätigt. Meine Supervisorin in der Psychotherapeutenausbildung hat das gerne mit „zärtlichem Tempo“ beschrieben. Andere nennen es „die Seele geht zu Fuß“. Auch wenn meine Kinder dies nicht bestätigen würden, habe ich Geduld, vor allem wenn es um große Veränderungen geht. Und ein Wechsel aus unserem aktuellen Gesellschaftssystem zu einer Gesellschaft mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen wäre definitiv eine große Veränderung, ein echter Paradigmenwechsel. So etwas braucht Zeit. Zeit, um es denken zu können, und auch Zeit, um es nach und nach umzusetzen.
Dass dies nicht nur für die Psychologie gilt, sondern auch in der Politik, zeigt uns die Vergangenheit. Große gesellschaftliche Umbrüche gingen immer langsam, selbst wenn sie gewaltvoll und schnell begonnen wurden. Die Franzosen haben sich zwar schnell ihrer Monarchie entledigt, aber der Umweg über Napoleon zeigt, dass das noch nicht ausreichend war für eine demokratische Republik. Und auch viele andere Länder haben im Zuge der Aufklärung mehrere Anläufe für echte Bürgerrechte gebraucht. Statt auch beim Grundeinkommen zwei Schritte vor und womöglich anschließend drei wieder zurück zu gehen, plädiere ich dafür, Schritt für Schritt in Richtung einer Gesellschaft zu gehen, in der existenzielle finanzielle Abhängigkeiten der Vergangenheit angehören.
*in Gedenken an meinen Vater (+2016), der sich in meiner Kindheit einen Spaß daraus gemacht hat, mir schwierige lateinische Wörter/Redewendungen beizubringen.
Bin dabei: Schritt f. Schritt auf dem Weg zur bedingungslosen Existenzsicherung.
Da hilft es sich das Bild von der zu Fuß gehenden Seele vor Augen zu halten. 🙂
Ich würde mir nach ausreichender Diskussion, Information und politischer Entscheidungsfindung eine entschlossene und zeitnahe Einführung eines echten und vollwertigen BGE wünschen. Es stimmt, dass dies ein großer und mutiger Schritt ist und dass dieser mit einem Paradigmenwechsel verbunden ist, aber dieses Umdenken findet bereits in großen Teilen der Bevölkerung und auch innerhalb vieler Parteien statt und ist auch Voraussetzung dafür, überhaupt eine politische Mehrheit für eine Entscheidung zur Einführung eines ‚echten‘ bedingungslosen Grundeinkommens zu erreichen. Ab diesem Punkt aber denke ich, dass allumfassende und konsequente Schritte zur Umsetzung sinnvoll und vielleicht auch notwendig werden, um nicht Gefahr zu laufen, auf halbem Wege mit einigen Verbesserungen im alten und immer weniger tragfähigen System ’steckenzubleiben‘ und mögliche positive individuelle und gesamtgesellschaftliche Entwicklungen unnötig zu verzögern.
Mögliche konkrete Schritte nach Erzielen einer mehrheitlichen politischen Entscheidung für die Einführung eines BGE:
a) Die Höhe des Grundeinkommens: Das Grundeinkommen könnte gestaffelt in Intervallen von 1-3 Monaten in das bestehende Wirtschaftssystem hineinwachsen. Bei einem BGE in Höhe von 1200€ und einem monatlichen BGE-Zuwachs von 100€ könnte der vollständige Betrag somit innerhalb eines Jahres erreicht werden. Bei einer Staffelung in 3-Monats-Intervallen würde dies bei gleichen Beträgen dann 3 Jahre dauern. Ich denke dies bietet ausreichend Raum zur Bildung erster neuer individueller, betrieblicher und gesellschaftlicher Gleichgewichte (z.B. in Form von Neuverhandlungen mit dem Arbeitgeber über Arbeitszeit, Arbeitsbedingungen und Arbeitsvergütung)
b) Die Bedingungslosigkeit des Grundeinkommens:
– Ein individueller Rechtsanspruch könnte sofort gewährleistet werden, Abschaffung von Bedarfsgemeinschaften im ALGII-Bezug und für Empfänger von Grundsicherung
– Sozialleistungen könnten durch die zunehmenden BGE-Zahlungen zu einem bestimmten Teil ersetzt und zu einem weiteren Teil bereits von Beginn an ergänzt werden, da der momentane Regelsatz nach Auffassung Vieler für Grundsicherung und ALG2 zu niedrig bemessen ist, um eine menschenwürdige Existenz zu gewährleisten. Bedürftigkeitsprüfung könnte auf diejenigen Sozialleistungen beschränkt werden, welche die zunehmenden BGE-Anteile ergänzen und wäre nach Erreichen der vollen BGE-Höhe nur für spezielle Leistungen oberhalb des Grundeinkommens erforderlich
– Sanktionen in SGBII und SGBXII werden umgehend ausgesetzt und die entsprechenden Sanktionsparagrafen werden abgeschafft. Damit entfällt der gegenwärtige Zwang zur Aufnahme von Erwerbsarbeit durch Sanktionsandrohung und Sanktionierung – allerdings wirkt bis zum Erreichen der vollen BGE-Höhe noch ein wirtschaftlicher Zwang, möglicherweise hinzuverdienen zu müssen um tatsächlich menschenwürdig Leben zu können (auch dies ist in meinen Augen ein wichtiger Grund für eine konsequente und zeitnahe Umsetzung)
Alter Konflikt von „Fundis“ und „Realos“. Meine Lösung: Jeder Mensch sollte im Kopf „Fundi“ sein, also die klare Idee im Kopf bzw. im Herzen haben. Schon wenn man mit EINEM anderen Menschen zu tun hat, muss man Realo sein, denn sonst nimmt man den gegenüber gar nicht Ernst. Das bedeutet aber nicht: den Kompromiss bereits im eigenen Kopf schließen. Das Problem ist: mangelndes Vertrauen in die Realos, dass sie mit ihrer „Politik der kleinen Schritte“ die Grundidee vergessen. Ich habe das mal so gesagt: „Realos besitzen Kamele, können oft auch reiten, wissen aber oft nicht, wo die Oase in der Wüste liegt. Fundis haben meist keine Kamele, können auch nicht immer reiten, wissen aber, wo die Oase liegt.“ Also: im Kopf Fundi, im Tun Realo. Und zwischen diesen beiden Polen im Menschen gibt es dann Schmerzen. Diese muss man aushalten. Weisheit ist kristallisierter Schmerz. Weise handeln ist klug. Im Umgang mit anderen Menschen gilt das Goethe-Wort: „Ich stelle meine Ideen im scharfem Kampfe den Ideen des Anderen gegenüber; seine menschliche Eigenart lasse ich unangetastet“. – Unbewältigter Konflikt zwischen dem Fundi und Realo in mir selbst und in anderen machen das Problem zum strukturellen Problem. Der, der beides in sich vereint, wird in den Augen der anderen von beiden Seiten oft als „Verräter“ betrachtet. Realos sind derzeit in einer Gesellschaft mit mangelndem politischen Vertrauen in der schwierigen Situation, dass ihnen Misstrauen entgegengebracht wird, ob sie es denn wirklich Ernst meinen. Fundis wird zwar Recht gegeben, aber es wird ihnen nicht zugetraut, irgendetwas in Bewegung zu bringen. Beides ist nachvollziehbar. – Fundis, die IHRE Position immer zu 100% durchbringen wollen muss man fragen, ob sie das in ihren Familien auch so machen.
„Realos besitzen Kamele, können oft auch reiten, wissen aber oft nicht, wo die Oase in der Wüste liegt. Fundis haben meist keine Kamele, können auch nicht immer reiten, wissen aber, wo die Oase liegt.“
Also sollte der Realo den Fundi mit auf sein Kamel hieven; der Realo reitet, der Fundi zeigt ihm den Weg zur Oase und kommt mit und beide erreichen glücklich die Oase. Problem gelöst!
Aus volkswirtschaftlicher Sicht wäre eine sofortige Einführung eines Grundeinkommens nicht praktizierbar. Denn das BGE ist nicht obendrauf zu zahlen, das hätte eine inflationäre Wirkung. Grundeinkommen ist immer auch in das normale Einkommen einzurechnen. Es soll ein sicheres Fundament für jeden Menschen bilden und soll meiner Ansicht nach kein Ersatz für HartzIV oder Sozialhilfe sein, sondern etwas ganz Neues.
Darum sollte man die Finanzierung ganz neu denken. Ich plädiere für einen wachsenden Fond, der aus der Wirtschaft gespeist wird. Der Grundgedanke dabei ist, Staat und Wirtschaft stärker zu trennen. Ich bin dabei, ein solches Konzept zu durchdenken