Robert Habeck spricht sich für ein neues staatliches Garantiesystem aus. Es soll Hartz IV überwinden, unterscheidet sich aber noch durch eine Bedürftigkeitsprüfung von einem Bedingungslosen Grundeinkommen.
Das neue Garantiesystem soll auf Anreiz statt auf Bestrafung setzen, existenzsichernd sein und Zuverdienst attraktiver machen. Das Schonvermögen soll angehoben und alle existenzsichernden Leistungen gebündelt werden.
Der Vorschlag im Einzelnen: Im Unterschied zum Bedingungslosen Grundeinkommen soll die neue staatliche Garantiesicherung laut Robert Habeck weiterhin bedürftigkeitsgeprüft sein, eine Antragstellung bleibt erforderlich. Ob diese Prüfung des Bedarfs weiterhin so stigmatisierend sein soll wie heute, wird in dem Vorschlag nicht gesagt, wohl aber, dass das Schonvermögen deutlich höher sein soll. Erst ab 100.000 Euro würde es auf die Sozialleistungen angerechnet, geförderte Altersvorsorge und selbstgenutztes Wohneigentum sogar noch ausgenommen.
Ein wichtiger Unterschied zum H4 ist weiterhin, dass die Zahlung von einer eigenständigen Behörde erfolgen soll und nicht mehr von den Jobcentern, welche sich im Gegenzug wieder auf die Vermittlung von Arbeit konzentrieren sollen. Arbeitslosengeld II, Sozialhilfe, Wohngeld und Bafög werden zusammengeführt, um Hilfe aus einer Hand anzubieten und Kosten für Bürokratie zu sparen.
Habeck stellt dabei auch eine Erhöhung des bisherigen Satzes in Aussicht, ohne eine konkrete Zahl zu nennen. Er rechnet aber damit, dass dadurch vier Millionen weitere Haushalte die Sozialleistungen in Anspruch nehmen werden. Die Mehrkosten von 30 Milliarden Euro sollen durch eine gerechtere Verteilung der Wohlstandsgewinne dieses Landes gedeckt werden. Wie genau bleibt unklar und auch ob die zusätzlichen vier Millionen Haushalte realistisch sind oder es aber eigentlich viel mehr sein werden.
Dass hier von Haushalten gesprochen wird, kann aber als Hinweis darauf gesehen werden, dass diese neue Garantiesicherung zunächst ebenfalls an Bedarfsgemeinschaften ausgerichtet sein soll und nicht wie ein Grundeinkommen als individuelle Leistung, welches aber immerhin als langfristiges Ziel festgehalten wird. Bedarfsgemeinschaften sind längst als nicht verfassungsgemäß eingestuft worden.
Wesentlicher Punkt des Vorschlags ist der Wegfall des Zwangs zur Arbeitsaufnahme, die Leistungen sollen sanktionsfrei ohne Pflicht zur Zusammenarbeit mit den Jobcentern gezahlt werden. Die Motivation zur Arbeitsaufnahme solle stattdessen durch bessere Zuverdienstmöglichkeiten ausgeglichen werden. Konkret möchte der Chef der Grünen dabei den Transferentzug auf 70% begrenzen, also 30% des Zuverdienstes soll der Erwerbstätige behalten dürfen.
Was er nicht sagt, ist ob die Summe von Steuern und Abgaben dabei für alle auf 70% angehoben werden soll oder ob Einkommen oberhalb des Steuerfreibetrags weiterhin mit einem Eingangssteuersatz von 14% plus Sozialversicherungen belastet würden. Und selbst Gutverdienende mit einem Spitzensteuersatz von 42% + 20% Sozialabgaben würden sich relativ weniger an den Kosten für die Gesellschaft beteiligen als erwerbstätige Empfänger dieser vorgeschlagenen neuen Sozialleistung. In dem Punkt besteht meines Erachtens noch Nachbesserungsbedarf.
Nichts desto trotz begrüße ich den Vorschlag eines Mannes, der schon um das Kanzleramt gehandelt wird und der Vorsitzender einer Partei ist, die in aktuellen Umfragen bei um die 20% gesehen wird. Dieses Garantiesystem wäre eine deutliche Verbesserung zum bestehenden System und könnte auch als Schritt in Richtung Grundeinkommen gesehen werden.
Der Vorschlag wird in den Prozess zum neuen Grundsatzprogramm der Grünen mit einfließen.
Hier der Debattenbeitrag von Robert Habeck im Ganzen: Garantiesicherung
Bild: https://www.flickr.com/photos/boellstiftung/16719980407
Der Vorschlag von Robert betrachtet das Grundeinkommen oder wie man es nennen will immer noch als Sozialleistung und nicht als Recht bzw. ökonomisch ausgedrückt: als ausgezahlten Steuerfreibetrag. Die Schaffung einer neuen Behörde neben den umfunktionierten Jobcentern vergrößert den Bürokratie-Wasserkopf und schafft erhebliche Mehrkosten-.
Die Frage ist: ist der Vorschlag ein Schritt in die richtige Richtung oder wird dadurch das bisherige System erträglicher gemacht und kann deshalb ohne Einführung eines echten BGE weitergeführt werden? Die Antwort lautet: so lange ein Grundeinkommen als Sozialleistung betrachtet wird, wird es zu keinem Systemwechsel kommen. Es ist auch kein „Abschied von Hartz IV“, sondern eine Verbesserung (ja!), aber eben nur eine Verbesserung, die möglicherweise das Hartz-System überlebensfähig macht, weniger allerdings für die Menschen als mehr für das System selbst.
Lieber Arfst,
vielen Dank für deine Stellungnahme. Ich sehe es durchaus als einen Kompromissvorschlag, vor allem in die Richtung von Annalena und anderen in der Partei, die das Grundeinkommen noch nicht in seinen Dimensionen verstanden haben. Wie so oft stellt sich dabei die Gretchenfrage, ob es besser ist als nichts, oder ob es den Druck für eine echte Veränderung reduziert und diese damit vielleicht verhindert. Ich plädiere für erstes, auch wenn ich beide Positionen nachvollziehen kann. Eine Politik der kleinen Schritte ist mir allemal lieber als große Disruptionen, gewalttätige Revolutionen oder ähnliches. Dennoch darf es nicht bei diesem möglichen ersten Schritt bleiben und fürs Grüne Grundsatzprogramm der nächsten 20 Jahre ist das noch deutlich zu wenig. Für die nächste Legislaturperiode fände ich es schon angemessener, allerdings kommt es dann noch sehr auf die Details an.
Gruß Baukje
In dem Punkt, dass man sich für das eine oder andere wird entscheiden müssen hat Arfst recht. Wenn diese Reform „gut“ wird, dann wird der Druck ein BGE einzuführen für mindestens 2 Dekaden aus dem Kessel sein. In dem Sinne ist es eine Grundsatzentscheidung und Realpolitik und Grundsatzprogramm sollten sich an dem Punkt nicht widersprechen.
Während das BGE keine realpolitische Option ist, ist es der Vorschlag von Robert schon und auch hier hat Arfst recht, wenn er anmerkt, dass eine neue Behörde zu fordern nicht offensichtlich mit der Forderung einhergeht Bürokratiekosten zu sparen. Die Stigmatisierung lässt sich auch nicht vermeiden, ob es nun Hartz IV oder Müller V heisst. Das liegt an unserem Verhältnis zur Arbeit und der gesellschaftlichen Grundhaltung, dass Arbeit findet, wer eine sucht. Und vielleicht ist das manchmal auch so und wirft viel mehr die Frage nach unserem Freiheitsbegriff auf.
Der entscheidende und nicht ausgefüllte Punkt in Roberts Vorschlag ist die Frage, wo das Geld her kommen soll. Gesellschaftliche Teilhabe entsteht natürlich auch daraus, dass man dafür genug Geld hat aber nicht nur, mehr noch aus Bildung und Mitbestimmungsmöglichkeiten.
Bei der erreichten Schieflage in der Gesellschaft (zunehmende Kapitalkonzentration, abnehmende Lohnquoten) wird es ohne mehr wirksame Umverteilung nicht gehen, es seie denn, man will das Geld aus einem Wachstum ziehen, für das es, in Ermangelung derzeit erreichbarer alternativer Ziele, keine Basis gibt. Weder die erreichbaren Wachstumsraten, noch deren ökologischen Folgen bieten hier eine reale Option. Es fehlt also, dass jemand die Worte Vermögens- und Erbschaftssteuer und vielleicht noch Digital- und Finanztransaktionssteuer in den Mund nimmt, denn STEUERung von Entwicklungen ist gefragt. Alle vier wird es brauchen, alle vier sind legitim, egal, wie man sie nennt. Aus dieser Diskussion wird auch ein Verständnis für die Grenzen der Verantwortung der Leistungsempfängern enstehen, Entstigmatisierung on-the-go.
… im papier wird doch gesagt, dass eine individuelle garantieleistung angestrebt wird, unabhängig von der haushaltskonstellation.
ja, mei, das wär mal ein schritt. lasst uns alle grün wählen, damit sich was ändert, anfängt zu ändern! …
Stimmt, als langfristig anzustreben steht die individuelle Garantieleistung dort drin.
So oder so ist dieses Papier ein guter Anfang, nicht mehr aber auch nicht weniger. Wenn es um ein kurzfristiges Wahlprogramm ginge, würde ich dir zustimmen. Als Punkt im Grundsatzprogramm für die nächsten 20 Jahre ist es meines Erachtens noch zu wenig.
Ein sehr lesenswerter Beitrag zum selben Thema von Prof. Dr. Michael Opielka (Wissenschaftlicher Leiter und Geschäftsführer des ISÖ – Institut für Sozialökologie gGmbH und Professor für Sozialpolitik an der Ernst-Abbe-Hochschule Jena):
https://www.isoe.org/aktuelles/blog/grundeinkommen-light-zu-robert-habecks-garantiesicherung/
Die BAG Wirtschaft und Finanzen von Bündnis90/Die Grünen haben einen weiteren Vorschlag zur Umgestaltung des Grundsicherungssystems vorgelegt:
Darin enthalten:
– Sanktionsfreiheit
– keine Pflicht zur Arbeitsaufnahme
– Auszahlung über die Finanzämter- Bedürftigkeit wird über die Steuererklärung geprüft
– Schonvermögen 60.4000 – Angabe über Steuererklärung
– Senkung der Transferentzugsrate auf 70% linear oder 100-60% degressiv
– Abschaffung von Bedarfsgemeinschaften
– konsequente Bestrafung von Schwarzarbeit
Das kommt dem Konzept einer negativem Einkommensteuer schon recht nahe. Die zusätzlichen Kosten sollen durch Steuererhöhungen für sehr hohe Einkommen oder Vermögensbesteuerung aufgebracht werden.
http://gruene-bag-wifi.de/wp-content/uploads/2018/12/Hartz-IV-hinter-uns-lassen.pdf?fbclid=IwAR17aH5_4o7Q9zqiY0b9Wv25-lmpofiiyDEDva6bH37S3KT1-tr7XY5Oo3E
Ich bin jeglichen Druck weil Druck behindert jede Freude auf Arbeit.Druck nimmt jedem das Selbstbewustsein zu leisten.