Zusammen mit vielen andere Menschen hatte ich am Sonntag das zweifelhafte Vergnügen, an einer Zeitreise teilnehmen zu dürfen. Auf der Mitgliederversammlung des Netzwerks Grundeinkommen wurde die geschlechterparitätische Besetzung des Netzwerkrates diskutiert und letztendlich nicht beschlossen. Es war eine Debatte, bei der ich mich in eine Zeit zurück versetzt gefühlt habe, die ich bislang nur aus den Erzählungen meiner Eltern über die post68er Jahre kannte. Dabei wurden Argumente gebracht, die ich in der heutigen Zeit für längst überwunden gehalten hatte.
Im Einzelnen ging es darum, die Bestimmung in den Statuten zur Zusammensetzung des Netzwerkrates folgendermaßen zu ändern:
Die bisherige Fassung
1. Der Netzwerkrat besteht aus bis zu zwölf Personen zusammen, die vor der Wahl des Netzwerkrates mindestens 3 Wochen Mitglied des Netzwerks gewesen sind. Er soll geschlechter-, regional- und organisationsparitätisch zusammengesetzt sein.
sollte wie folgt geändert werden:
1. „Der Netzwerkrat besteht aus bis zu 6 Frauen und 6 Männern, die vor der Wahl des Netzwerkrates mindestens 3 Wochen Mitglied des Netzwerks gewesen sind. Er soll geschlechter-, regional- und organisationsparitätisch zusammengesetzt sein.“
Der Antrag enthielt den Zusatz: Wenn durch diese Regelung nicht alle Plätze im Netzwerkrat besetzt werden können, sollen die Gründe dafür erhoben und Maßnahmen ergriffen werden, um dem Abhilfe zu schaffen, so dass bei der folgenden Mitgliederversammlung alle Plätze besetzt werden können.
Aus der bisherigen und weiterhin bestehenden „Soll-Vorschrift“ hatte sich leider nur sehr wenig tatsächliche weibliche Beteiligung im Netzwerkrat ergeben. In den letzten 15 Jahren seit der Gründung war diesbezüglich keine positive Veränderung erkennbar gewesen, ich war im letzten Jahr die einzige Frau in dem Gremium.
6 Männer, 6 Frauen eine abwegige Idee?
In dem Antrag wurde keine „harte“ Frauenquote gefordert, wie sie zum Beispiel bei den Grünen besteht. Es hätte keine Notwendigkeit gegeben, eine Frau ohne ausreichende Qualifikation einfach nur aufgrund ihres „Frau seins“ zu wählen – allerdings um den Preis, dass dann ggf. der Netzwerkrat nur aus sechs (männlichen) Mitgliedern bestanden hätte.
Trotzdem wurde in der Debatte zum Antrag ausgerechnet auch noch von einer Frau genau dieses Argument genannt neben weiteren unsäglichen Wortbeiträgen wie “eine Frauenquote bringt nichts, weil sich ja dadurch noch lange nicht mehr Frauen um einen Platz bewerben würden” oder auch “man muss erst das Bewusstsein in den Köpfen ändern, vorher würden auch solche Regelungen nichts bringen”. Einzige Ausnahme bildete dabei die Ansicht eines jungen Mannes, der die Geschlechterfrage schon überwunden glaubt und Zuschreibungen von Mann und Frau für nicht mehr zeitgemäß hält. Ich würde mir wünschen, dass seine Perspektive irgendwann dem Mainstream entspricht. Aber bis dahin werden wir um harte Regelungen nicht umhin kommen, das zeigt sich nicht nur im Netzwerk Grundeinkommen, sondern auch in vielen anderen Bereichen der Gesellschaft.
Werner Rätz, Sprecher von Attac AG „Genug für alle“ und Autor diverser Bücher zum Bedingungslosen Grundeinkommen, äußerte sich nach der Abstimmung schockiert: „Es sind dieselben Argumente gefallen wie in den 70ern“. Als Zeitzeuge kann er ein Lied davon singen. Er war aber nicht nur von der reaktionären Debatte schockiert, sondern auch davon, mit welcher überwältigenden Stimmenanzahl der Antrag abgelehnt wurde. „Mit diesem Beschluss hat sich das Netzwerk zutiefst blamiert und um 100 Jahre vor seine Gründung zurück geworfen“, so Werner.
Noch während ich mich fassungslos mit einigen Umstehenden über das Abstimmungsergebnis unterhielt, ließ sich ein über 70-jähriger nun ehemaliger männlicher Kollege aus dem Netzwerkrat zu der Bemerkung hinreißen, dass der Antrag auch wenig intelligent gestellt worden sei. Da ist mir vor Wut der Kragen geplatzt und ich musste den Raum verlassen, um nicht zu ausfallend zu werden. Die anschließende Entschuldigung und hilflose Erklärungen haben das kaum besser gemacht, sondern das vollkommene Unverständnis der Situation nur noch unterstrichen. Auch ein anderer Kommentar schon vor der Abstimmung ging in diese Richtung, der Antrag sei „zu früh gestellt“, man solle dem Netzwerk noch 2 weitere Jahre Zeit geben, das Problem zu beheben. Was daran „zu früh“ sein sollte, konnte der Antragsteller Moritz Meisel nicht erkennen und konterte damit, dass es eigentlich schon mindestens 10 Jahre zu spät sei, um an dieser Vorherrschaft der Männer etwas zu ändern und das im Jahre 2019.
Die Wahl des Netzwerkrates
Ich hatte mich im letzten Jahr bemüht, weitere Frauen für eine Kandidatur zu motivieren. Eine häufige Ablehnung war neben persönlichen Gründen, dass man nicht in einem Team arbeiten wolle, das von alten Herren dominiert sei. Auf der anderen Seite hatten sich mehrere Männer im Vorfeld im persönlichen Kontakt kritisch zu dem Antrag geäußert, weil sie dadurch ihre persönliche Wahlchance verschlechtert sahen.
Nach diesem Erlebnis der dritten Art habe ich den Entschluss getroffen, keine weitere Lebenszeit und Energie in dieses Netzwerk zu stecken, und habe mit der entsprechenden Erklärung meine Kandidatur für den Netzwerkrat zurückgezogen. Und auch Alina Komar und Dagmar Paternoga haben eine Kandidatur aus ähnlichen Gründen kategorisch abgelehnt. Dafür war die Botschaft “Frauen sind hier gar nicht gewollt” einfach zu deutlich.
Die anschließende Wahl hat dann doch zwei Frauen in den Netzwerkrat gebracht – herzlichen Glückwunsch an Christiane Danowski und Claudia Laux – und außerdem noch sieben Männer. Alle anderen Männer sind am Quorum (50% der abgegebenen Stimmen) gescheitert. Nicht an den Frauen. Drei Plätze sind frei geblieben und können im nächsten Jahr noch nachbesetzt werden. Die beantragte Änderung hätte einen Mann weniger und dafür im Fall meiner Wahl für eine Frau mehr gesorgt, also die gleiche Arbeitsfähigkeit/Anzahl Mitglieder im Netzwerkrat geschaffen. Nach der Wahl haben mir einige Anwesende ihr Bedauern ausgedrückt darüber, dass sie mich auf Grund des Rückzugs meiner Kandidatur nicht hätten wählen können. Ich wurde gefragt, warum ich das nicht vorher gesagt hätte. Zum einen ist es nicht mein Stil, eine Mitgliederversammlung zu erpressen, und zum anderen habe ich ja vorher selbst nicht gewusst, wie dieser Antrag ablaufen würde. Als die meisten antiquierten Wortbeiträge kamen, war die Rednerliste längst geschlossen.
Der Sexismus hatte mich schon das ganze Jahr über begleitet, angefangen eine Woche nach meiner Wahl, als Reimund Acker, trotz entsprechend warnenden Hinweisen aus dem Netzwerkrat, in seinem Newsletter einen süffisanten Witz darüber gemacht hat, dass ich selbstverständlich nicht nur Quotenfrau sei, sondern auch Kompetenz mitbrächte. Aber auch andere Frauen haben und hatten das zu spüren bekommen. So hat mich eine ehemalige Netzwerkrätin darauf hingewiesen, dass man ein sehr dickes Fell bräuchte. Und eine Kollegin aus der Redaktion kündigte ihre Mitarbeit mit der Begründung auf, dass sie sich nicht weiter wie ein kleines Mädchen behandeln lassen wolle.
Die Feststellung, dass man für die Idee des Grundeinkommens sein und gleichzeitig trotzdem vollkommen rückständig denken kann, hat mich in diesem Umfang schon überrascht. Es waren nicht nur ein paar Stimmen, die für die entsprechende Statutenänderung gefehlt haben. Es ist nicht mal eine einfache Mehrheit zustande gekommen und die Stimmung unter den Mitgliedern hat mich an Einsichtsfähigkeit und Veränderungspotential in der Zukunft ernsthaft zweifeln lassen. Ich lasse mich natürlich gerne vom Gegenteil überzeugen und würde mich über ein nachträgliches Aufwachen freuen. Bis auf weiteres werde ich mich nicht mehr aktiv in diese Organisation einbringen und meine Mitgliedschaft überdenken.
Aber keine Sorge, ich werde dem Bedingungslosen Grundeinkommen an sich nicht abhanden kommen. Ich bin ohnehin in diversen weiteren Zusammenhängen aktiv und in jeder Krise liegt auch eine Chance. Die Erfahrung habe ich in den letzten Wochen in meiner Psychotherapie-Praxis machen dürfen. Ich wurde durch einen Wasserschaden dazu genötigt, in schönere und besser gelegene Praxisräume zum eigenen Vorteil und dem meiner Patienten umzuziehen. Ich bin gespannt, welche Türen sich nun in der nächsten Zeit öffnen werden.
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Update 02. März:
Erklärung zum Artikel „Zeitreise“
Eine kleine Erklärung, worum es hier eigentlich geht: Ich habe die Arbeit des Netzwerksrats und insbesondere das Arbeitsklima dort kritisiert. Anfang Dezember habe ich auf meinem Blog einen konstruktiven Vorschlag für eine Verbesserung gemacht, und zwar durch eine Frauenquote einen anderen Umgang zu erzwingen. Nicht weil Frauen die besseren Menschen sind, aber weil die bisherige Erfahrung gezeigt hat, dass sie die Machtspiele, Blockaden und Umgangsformen dort nicht lange aushalten. Deswegen sind bisher alle früher oder später wieder gegangen. Die verursachenden Herren sind geblieben. Neue Frauen haben überwiegend schon im Vorfeld abgelehnt, weil sie wussten, wie es dort läuft.
Diesen Vorschlag hat Moritz aufgegriffen und einen Antrag auf paritätische Besetzung gestellt. Eine sehr milde Umsetzung, da es immer noch möglich war, einen rein männlichen NWR zu wählen, allerdings dann auf 6 Personen beschränkt. Mir hat daran vor allem der Zusatz gefallen, dass man sich bemühen sollte, Abhilfe zu schaffen, wenn nicht ausreichend Frauen gewählt werden.
Dieser Antrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt worden. Und das auch noch mit sehr schlechten Argumenten. Teilweise haben mir Männer (natürlich nur im direkten Gespräch) gesagt, dass sie gegen den Antrag sind, weil es ihre persönlichen Chancen schwächt, gewählt zu werden – eine meines Erachtens vollkommen unsägliche Argumentation, der Gedanke schimmerte aber bei vielen Wortbeiträgen mit durch. Außerdem wurden Argumente gegen Quoten im Allgemeinen ins Feld geführt, die auf diesen konkreten Antrag gar nicht zutreffen. Wie zum Beispiel, dass Frauen ungeachtet ihrer Qualifikation gewählt werden würden. Mal abgesehen davon, dass bisher sehr tolerant mit schlechter Qualifikation umgegangen wurde, weil es zu wenige Bewerber gab, wäre das hier auch gar nicht der Fall gewesen, weil es ja eben keine harte Frauenquote war. Ungeeignete Kandidaten scheitern eher am Quorum, wie man dieses Jahr auch mal wieder sehen konnte.
Nachdem ich mir ein Jahr lang die Machtspiele, Hinterhältigkeit und Abwertungen (nicht nur gegen mich, insofern nicht unbedingt sexistisch, sondern einfach nur so unfair) angesehen hatte, war ich schon angetreten mit der deutlichen Forderung, dass sich in dem Gremium etwas ändern müsse. Sowohl in Bezug auf mehr Spaß, mehr kooperative Zusammenarbeit, als auch in Bezug auf eine effektive Ausschöpfung des Potentials, das das Netzwerk Grundeinkommen eigentlich haben könnte. Die Abstimmung zur Parität hat dabei nur das Fass zum Überlaufen gebracht, so dass ich anschließend meine Kandidatur zurückgezogen habe, weil mir meine Lebensenergie dafür zu schade ist. Quasi als „Abschiedsgeschenk“ habe ich mich aber entschieden, nicht schweigend zu gehen, sondern dies in oben stehendem Blogartikel begründet.
Die Kommentare, die ich dafür unter anderem auf Facebook bekommen habe, machen mich ehrlich gesagt sehr wütend. Ich bin der Bote, aber die Botschaft scheint keinen zu interessieren. Stattdessen werden Geschlechterklischees gedroschen, Befindlichkeiten gepflegt und ständig wiederholt, dass ich doch bestimmt gewählt worden wäre. Das ärgert mich noch am meisten, denn das war doch nie die Frage, sondern vielmehr, ob ich bereit bin, es zu machen. Ich hab die Quote doch nicht vorgeschlagen, um selbst gewählt zu werden. Was für ein absurder Gedanke!
Nun gäbe es meines Erachtens nur eine sinnvolle Reaktion: Die Aussage, wir schaffen es auch so, ohne erzwungene Parität, die Arbeitsbedingungen zu verbessern und in einem Jahr drei weitere Frauen nach zu wählen. Aber nach allem, was ich bisher gehört habe, versteift man sich lieber auf Verschwörungstheorien gegen mich und das Bündnis.
Ich hoffe, es ist deutlicher geworden, worum es hier geht. Vielleicht können es ja andere besser als ich. Denn ich bin wahrlich nicht perfekt. Aber ich habe es wenigstens versucht. Deswegen meine Botschaft an alle Kritiker: Macht es besser!
„Die Feststellung, dass man für die Idee des Grundeinkommens sein und gleichzeitig trotzdem vollkommen rückständig denken kann, hat mich in diesem Umfang schon überrascht.“
Mich nicht. Schließlich gibt’s nicht wenige BGE-Befürworter*Innen, die davon ausgehen,
dass mit einem BGE die Frage der Sorgearbeit sich erledigt, weil dann die Frauen doch
(wieder) mehr Zeit für diese hätten.
Tja, überholt geglaubte Geschlechter-Konstruktionen sind halt auch bei BGE-Anhänger*innen
noch virulent. 🙁
Das kann doch nicht wahr sein!
Beton. Für immer und ewig?
Hilfe…
Hoffen und warten oder nochmal neu nachdenken?
Das BGE gilt für Alle. Also sollten auch alle im Verhältnis der Bevölkerung abgebildet sein. Alte, Junge, Frauen, Männer und Jugendliche.
Hallo Bauke,
Darf ich als „der neu hinzugekommene“ Schweizer auch dazu Stellung nehmen – Danke.
Vorweg möchte ich mich entschuldigen im Namen der Männerwelt, die eine Diskriminierung von Frauen aufgrund ihrer xx-Genen absolut inakzeptabel finden. Zugleich bedaure ich, dass Du Deine Kandidatur wegen rückständigen xy-Gen-Vertreter zurückgezogen hast :
unabhängig von existenten oder nicht-existenten Frauenquoten habe ich in diversen Führungsgremien die Erfahrung gemacht, dass Frauen aufgrund ihrer offenbar besser trainierten Sozial- und Empathie-Kompetenz für das Gremium immer einen Qualitätsgewinn bewirken – bei Diskussionen, bei Verhandlungen und bei Entscheiden.
Ich verstehe Deine Enttäuschung, und ich habe Deinen Rücktrittsentscheid natürlich zu respektieren – aber ich bitte Dich trotzdem, ein eventuelles späteres Engagement in der besagten Gemeinschaft in aller Ruhe zu Bedenken.
Dies nicht nur der Sache BGE-Förderung willen, sondern auch, weil gerade solche Führungsgremien nur dann qualitativ „wachsen“, wenn eine Frau sich entschlossen einbringt (mit einer jetzt-erst-recht-Haltung) und zeigt, dass sie bereit und fähig ist, ihre Argumente und Postionen stark zu vertreten.
Was meinst Du dazu ?
LG
Werner
Falls dieses Führungsgremium „wachsen“ möchte, dann sollten sie ein Team-Coaching in Anspruch nehmen und nicht die Mitglieder dazu missbrauchen. Das war bei der Netzwerkrat-Tagung in Schwerin auch schon beschlossen worden. Wurde dann aber weg-ignoriert und für unnötig befunden.
Wenn eine Frau sich dort entschlossen einbringt wird sie beschimpft, beleidigt und dazu aufgerufen für Harmonie zu sorgen. Bei gleichem Verhalten bekommen die Herren Beifall. Nein Danke, solche Männer müssen aussterben bis sich etwas ändert. Ich kümmere mich derweil um andere Projekte.