Angst vor der Bedingungslosigkeit

Veröffentlicht von

Der Wirtschaftsjournalist Roman Pletter schrieb in der Zeit einen Artikel (Original mit Paywall) mit dem Titel “Das bessere Grundeinkommen” (pdf ohne paywall). Darin wird seine Angst vor der Bedingungslosigkeit eines Bedingungslosen Grundeinkommens deutlich. Aber eben auch, dass es einen dringenden Veränderungsbedarf in der Sozialpolitik gibt, bei dem die Diskussion um das Grundeinkommen ein wichtiger Veränderungsimpuls sein kann. 

Er entwickelt dabei einen interessanten Kompromissvorschlag, den ich hier kurz skizzieren möchte. 

Gelöst werden sollen die zunehmende Ungleichheit der Einkommen und Vermögen und deren Verstärkung in einem “kognitiven Kapitalismus”, in dem materielle Produktion immer unwichtiger wird und nicht mehr alle Menschen an den Produktivitätsfortschritten beteiligt werden. Diese Effekte sind schon präsent, unabhängig von der Frage, ob durch die Digitalisierung tatsächlich Massenarbeitslosigkeit entsteht oder nicht.

Die Verteilungsfragen der Zukunft sollten nach Meinung des Autors durch höhere und konsequentere Unternehmenssteuern beantwortet werden, möglichst durch internationale Mindeststeuern und auch auf Digitalkonzerne.  

Verbesserungsbedarf wird bei zwei wesentlichen Punkten gesehen: Menschen, die Sozialleistungen beziehen, sollen mehr von ihrem Lohn behalten dürfen. Und Geringverdiener müssen bei den Sozialabgaben entlastet werden. Beides entspräche einer Leistungsgerechtigkeit, die wahrscheinlich in allen großen Parteien mehrheitsfähig wäre. Allerdings kostet das Geld. 

Finanziert werden könnten diese Maßnahmen neben den oben schon erwähnten Unternehmenssteuern durch eine ebenfalls konsequentere und höhere Steuer auf Erbschaften. Abgesehen von Freibeträgen auf das Elternhaus und Erspartes sind die Ausnahmeregelungen insbesondere für millionenschwere Unternehmensvermögen nicht plausibel und auch nicht gerecht. 

Um Stigmatisierung zu vermeiden, könnte eine Auszahlung über die Finanzämter Abhilfe schaffen. Auch wenn so eine Steuererstattung noch lange nicht bedingungslos, also nicht ohne Prüfung an jeden, wäre. 

Ergänzt wird der Vorschlag durch eine Kindergrundsicherung, wie sie zum Beispiel von der Grünen Bundestagsfraktion vorgeschlagen wird oder auch vom Bündnis Kindergrundsicherung. Darin bekommt jedes Kind bedingungslos 300 Euro als Basis und bis zu 300 Euro weitere Unterstützung in Abhängigkeit vom Einkommen der Eltern. 

Ich kann mir gut vorstellen, dass so ein Vorschlag leichter politisch umzusetzen wäre als ein Bedingungsloses Grundeinkommen. Es erfordert weniger einen Paradigmenwechel und löst somit auch weniger Veränderungsängste aus. Es knüpft mehr an Bestehendem an. 

Trotzdem würde sich auch hier schon die Situation im Niedriglohnsektor für viele verbessern und damit auch die Verhandlungsposition für alle anderen. Kinderarmut würde reduziert und Stigmatisierung von Bedürftigen. 

Offen bleibt, wie es dann um die Sanktionen und die Mitwirkungspflicht bei der Suche nach einem Arbeitsplatz stehen würde. Ebenso unklar ist, ob so eine üblicherweise als negative Einkommensteuer bezeichnete Leistung individuell zustehen oder weiterhin nach Bedarfsgemeinschaften berechnet würde. Der Autor räumt zwar ein, dass es sich vom aktuellen H4-Satz nicht gut leben lässt, eine Erhöhung der Summe fordert er aber nicht. 

Alles in allem wäre es ein Schritt in die richtige Richtung, der bei vielen Verfechtern fürs Bedingungslose Grundeinkommen aber trotzdem abgelehnt werden würde. 

3 Kommentare

  1. Die Umverteilung wird nur zu einem Teil durch ein bedingungsloses Grundeinkommen erfolgen, sondern durch eine gesamtgesellschaftliche Steuerreform, die Bürokratie abbaut, Mittelstandsunternehmen entlastet, ökologische Steueraspekte enthält und als Modul das bedingungslose Grundeinkommen einführt, das der demografiscgen Entwicklung, der Rationalisierung und der Digitalisierung gerecht wird.

  2. Genau darum fordert Herr Götz Werner das BGE und eine Steuerreform mit Umstellung auf gestaffelte Verbrauchssteuern nach gesund/schädlich für Umwelt und Mensch! Weil alles was wir als Luxus ansehen ist schädlich und wird damit hoch besteuert, wie schon heute Tabak und Alkohol. In Finnland, Dänemark und Singapur zahlt man auf Luxusautos 100% Steuern – geht doch seit Jahrzehnten wenn man will!
    Bedingungslos ist auch das Kindergeld, welches selbst Superreiche Einkommensmillionäre erhalten, welche es echt nicht benötigen. Aber dies ist viel billiger als Zuteilung-Überwachungsbürokratie, welche zudem Arme stigmatisiert und aus einem Erbrechtsanspruch BGE-Kindergeld ein Almosen/Stütze macht!

  3. Herr Pletter hat für mich nachvollziehbar dargestellt, wie ein Grundeinkommen finanziert werden könnte und warum der dargestellte Weg zu mehr Gerechtigkeit führen würde. Soweit komme ich mit. Nun hat der Autor Leistungsgerechtigkeit ziemlich ins Zentrum seiner Überlegungen gestellt. Kann man so machen. Dann allerdings muss auch beantwortet werden, was denn als Leistung verstanden und als Arbeit gezählt wird. Das hat Herr Pletter leider komplett versäumt und bezieht sich ausnahmslos auf Erwerbsarbeit. Zu geringe Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen bzw. die komplett unbezahlte Care-Arbeit werden nicht mal erwähnt. Dass ein Großteil der Carearbeit durch Digitalisierung nicht verschwindet, fällt unter den Tisch. Anders formuliert: Die Befürchtung, dass Leute mit einem BGE untätig werden und das Arbeiten verlernen, kann sich nur bestätigen, wenn jemand bereit ist, deren Anteil an Hausarbeit etc. womöglich unbezahlt zu übernehmen. Ob Menschen das auch noch machen, wenn sie dank BGE nicht finanziell vom Fortbestand der „Partnerschaft“ abhängig sind, bliebe abzuwarten.

Kommentare sind geschlossen.